Fucking Berlin
Ich spülte, sie trocknete ab. Aus Versehen ließ ich ein Glas fallen, das auf dem Boden zerbrach.
»Du bist echt verträumt«, sagte sie, während sie die Scherben zusammenfegte. »Bist du zwar immer, aber ich denke, du hast da jemanden. Ich merke es an deinen Blicken.«
»Meinst du?«, fragte ich ironisch.
»Ich will dir nur sagen: Sei vorsichtig«, redete sie weiter. »Na ja, solange du kein Kind hast, kannst du immer noch mit deinem Alten Schluss machen.«
Soviel ich wusste, war sie verheiratet und hatte zwei kleine Töchter.
»Ich treffe mich übrigens nach Feierabend mit Harry«, sagte sie und schwieg dann, als ob sie auf meine Genehmigung warten würde, weiterzureden. Ich blieb aber stumm, da ich Harry nicht wirklich kannte. Ich wusste nur, dass erein Stammgast von ihr war, der fast jeden Tag zu ihr kam und ihr oft Blumen mitbrachte. Aber von solchen Geschichten gab es viele im Bordell.
»Ich bin echt bescheuert, mich mit dreißig Jahren noch Hals über Kopf in einen Freier zu verlieben«, fuhr sie fort. Ich war etwas überrascht: Mit ihrer zierlichen Figur und den schwarzen Haaren, die sie nach hinten zu einem Zopf gebunden hatte, sah sie viel jünger aus.
»Wenn er dich glücklich macht«, antwortete ich.
»Ja und nein«, seufzte sie, während sie das Geschirr einräumte. »Ich hätte nie gedacht, dass mir so was noch mal passiert. Es ist wie wieder siebzehn sein. Ich träume nachts von ihm und wache dann neben Oliver auf – meinem Mann. Wir rufen uns zigmal am Tag wegen Kleinigkeiten an, ja, wir stellen uns sogar vor, wie unsere Kinder heißen würden. Aber auf der anderen Seite: Ich bin verheiratet, Oliver ist ein guter Ehemann und meine Mädchen lieben ihn abgöttisch. So gesehen denke ich, ich bin eine erwachsene Frau und habe kein Recht, wegen so einer Schwärmerei meine Familie zu zerstören.«
Ich konnte nicht aufhören, an Milan zu denken. Er war mit seiner Familie verreist und ich sehnte mich nach ihm. Der Jahrhundertsommer, der wie ein Traum angefangen hatte, wurde zu einer Strafe, weil ich mir immer wieder vorstellen musste, wie er mit seiner Frau Natalie in einem malerischen Hafenstädtchen auf einer Restaurantterrasse saß. Ladja hingegen kiffte die ganze Zeit oder spielte Ping-Pong mit Tomas und dessen neuer Freundin. Manchmal, wenn ich freihatte, schloss ich mich ihnen an, dann waren wir eine Gruppe sorgloser junger Leute, die den ganzen Tag in der Sonne lagen, laute Musik hörten und sich mit Fragen beschäftigten wie: »Wie vermehren sich die Schlümpfe eigentlich, wenn es nur eine Frau im ganzen Dorf gibt?«
Meine Klausuren am Ende des Sommersemesters bestand ich mit ziemlich guten Noten. Oft hatte ich mir in die »Oase« meine Bücher mitgebracht und dort gelernt. »Noch ein Jahr, dann hast du zumindest das Vordiplom, dann ist das Ziel schon näher«, sagte ich mir immer wieder. Manche Kommilitonen waren mit dem Grundstudium fast fertig und hatten während der Semesterferien schon Praktika gemacht. Für mich kam das vorerst nicht in Frage, denn als Praktikant bekam man oft kaum Geld. Das konnte ich mir einfach nicht leisten.
Das Schwierigste für mich aber war, dass ich zu den Kunden der »Oase« freundlich sein musste, selbst dann, wenn ein verschrumpelter Siebzigjähriger, ein ungepflegter Macho oder ein Typ mit Mundgeruch vor mir lag. Ich hatte mit der Zeit gelernt, so was innerlich zu verdrängen und nur an die Kohle zu denken, doch seit ich Milan kannte, ertrug ich die Gäste immer schwerer. Sie anzufassen ging ja noch. Schlimmer waren ihre verschwitzten und gierigen Hände auf meinem Körper, denn der gehörte, wie auch mein Herz, inzwischen nur noch Milan. »Es macht mich verrückt, zu wissen, dass du weiter mit Ladja schläfst«, hatte er einmal zu mir gesagt.
Natürlich wusste auch Milan nicht, wie ich mein Geld verdiente. Ich erzählte etwas von einem Café, wo ich kellnerte, doch er fragte ständig nach der Adresse, um mich von der Arbeit abholen zu können. Irgendwann murmelte ich dann etwas von einem Job in der Universitätsbibliothek, doch er schien zunehmend misstrauisch zu werden, zumal er wusste, dass Ladja nur gelegentlich beschäftigt war.
Auch in der »Oase« war das Thema Ehrlichkeit an der Tagesordnung: Mandy hatte zwei Monate lang ihren neuen Freund hinsichtlich ihres Berufs belogen und, nachdem sie ihm endlich die Wahrheit gestanden hatte, prompt eineschallende Ohrfeige kassiert. Isa wiederum erzählte: »Ich habe damals meinem ersten Freund erzählt,
Weitere Kostenlose Bücher