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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Rossi
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verpassen. Du bist so jung und treibst dich mit so einem Asozialen rum«, sagte er eines Tages zu mir, als ich gerade Besteck abtrocknete. Da ich nicht reagierte, setzte er nach. »Woher, denkst du wohl, nimmt dein Ladja sein Geld? Alle wissen, dass er anschaffen geht. Oder glaubst du etwa, er geht für seine Kohle normal arbeiten?«
    Ich stand mitten im Raum und war plötzlich stumm. Ich konnte Ladja nicht verteidigen, weil ich wirklich nicht wusste, was er den ganzen Tag machte. Ich rannte raus, ohneein Wort zu sagen, und atmete die kühle, nasse Novemberluft, bis mir die Lungen mehr wehtaten als mein Herz. Sag, dass es nicht wahr ist, dachte ich, bitte. Wir kannten uns jetzt sechs Wochen und ich hatte vielleicht etwas geahnt, aber nicht darüber nachdenken wollen.
    Ladja kam an diesem Abend nicht und auch nicht am Tag danach. Ich hatte keine Ahnung, wo er war, und auch keine Telefonnummer, unter der ich ihn hätte erreichen können. Ich saß am Fenster, sah, wie in den anderen Wohnungen die Lichter angingen, und stellte mir vor, wie die Familien am Tisch saßen, Abendbrot aßen und über die Geschehnisse des Tages plauderten. Ich aber war allein. Die Freiheit, die sich noch zwei Monate zuvor so gut angefühlt hatte, tat mir nur noch weh. Ich dachte an Ladja, wie er in der kalten Nacht durch die Straßen wanderte und nicht nach Hause fand. Oder war ihm gar etwas zugestoßen?
    Ladja blieb einige Tage weg. Ich ging weiterhin jeden Morgen arbeiten, sah dabei ständig auf mein Handy und hörte mir von den Kollegen in der Kneipe Sprüche an, die mir auch nicht halfen, wie »Du hast was Besseres verdient« oder »Mach jetzt mit ihm Schluss, dann ist es nicht so schlimm«.
    Tomas wusste auch nichts. Einmal klingelte ich bei ihm. Die Musik in seiner Wohnung war höllisch laut, durch die Luft zog das süße Aroma von Gras und zwei unbekannte Mädchen saßen halbnackt auf seiner Couch und lachten. Ich fragte ihn nach Ladja, aber er zuckte nur mit den Schultern, als ob es um einen Unbekannten ginge.
    Nach einer Woche klingelte es an einem eisigen Donnerstagabend an der Tür. Ladja stand da mit einem Blumenstrauß in der Hand und küsste mich verlegen auf die Wange. Er hatte eine neue, blaue Bomberjacke an und roch nach Straße und nach Regen, wie ein nasser Hund.
    Ich schmiss die Rosen auf den Boden und marschierte in mein Zimmer. Das Letzte, was ich wollte, war eine kitschige Szene. Doch als Ladja mir in die Augen sah, rollten mir warme Tränen die Wangen herunter.
    Er versuchte nicht, irgendeine Ausrede zu finden. Vielleicht habe ich ihn deshalb nicht rausgeschmissen. Es war, wie es immer wieder sein würde, wenn ich später mit ihm stritt. Ich wusste, dass ich nicht mit ihm Schluss machen wollte oder konnte – er sollte einfach nicht wieder weggehen. In dieser Nacht spürte ich dieses Gefühl das erste Mal mit einer Klarheit, die ich nicht kannte, aber von der ich wusste, dass es Kraftverschwendung wäre, sich dagegen zu wehren.
    Am Morgen danach, auf dem Weg zur S-Bahn, erzählte er mir zum ersten Mal etwas über seine Vergangenheit. Sein Vater war Tischler, seine Mutter Köchin. Er hatte einen älteren Bruder, der eine eigene Familie hatte, und eine kleine Schwester, ein Jahr jünger als er. »Wenn das Wetter besser wird, können wir mal nach Polen fahren. Wir haben ein kleines Laubenhaus, dort kann man grillen und die Schwalben beobachten, wie sie ihr Nest bauen.«
    Ich hörte kaum zu. Die Sätze meines Chefs klangen mir noch in den Ohren: »Denkst du etwa, er geht für seine Kohle arbeiten?« Ich musste ihn einfach fragen.
    »Gehst du anschaffen?«, fragte ich unvermittelt.
    Ladja blieb stehen und schaute mich an.
    »Pino hat mir so was erzählt«, fuhr ich fort. »Stimmt es?«
    Ich wurde immer lauter und ein paar Leute auf der Straße drehten sich nach uns um. Ladja packte mich an den Schultern und drückte mich gegen eine Wand.
    »Ja, das mache ich«, zischte er leise, sein Blick war penetrant und hart. »Aber nur wegen des Geldes. Ich habe doch keine andere Wahl.«
    Mein Kopf drohte zu platzen und ich bekam kaum Luft. Das Schlimmste war wohl, dass ich mir unter dem Begriff Prostitution nur entsetzliche Dinge vorstellen konnte. Ich sah Ladja vor mir, wie er am Bahnhof alte, hässliche Männer ansprach, um anschließend mit ihnen in einer billigen Pension zu verschwinden. Was sie dort mit ihm machten, wollte ich mir gar nicht ausmalen.
    Wir hatten uns auf eine Parkbank gesetzt und ich starrte auf das

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