Fucking Berlin
mich ran, versprechen kann ich aber nichts. Mein Mann hat sich dummerweise ein Bein gebrochen und liegt im Krankenhaus, damit bin ich leider gerade einigermaßen beschäftigt«, log ich.
Nach dem Anruf bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mir so eine dreiste Geschichte ausgedacht hatte. Die Aufgaben an der Uni wurden normalerweise in Gruppen bearbeitet, und schon ein paar Mal war es vorgekommen, dass ich eine gute Note bekommen hatte, obwohl ich fast nichts dafür getan hatte, weil ich meine Zeit im Puff verbrachte oder von der Arbeit erschöpft war.
»Hier ist es stinklangweilig«, hörte ich Lenas Stimme. Dies brachte mich zurück in die Realität des Freiburger Bordells.
Um die Monotonie des Arbeitsalltags etwas aufzulockern, verpassten wir jedem im Laden, Gästen wie Frauen, Spitznamen, so dass wir in Ruhe tratschen konnten. Jacqui aus Polen war Ziel Nummer eins unserer Angriffe. Wir nannten sie »Engel«, weil sie blonde Locken, blaue Augen und einen beschissen naiven Gesichtsausdruck hatte. Sie war auf jeden Fall unsere Bestverdienerin, und das, obwohl sie kein Wort Deutsch sprach. Sie schminkte sich auch kaum und ging sogar so weit, sich in Snoopy-Unterwäsche und -Socken bei den Kunden vorzustellen. Vielleicht machte gerade dieser mädchenhafte Charme die Kleinstadtmänner verrückt. Lena und ich hatten allerdings eine andere Vermutung: »Wer weiß, was sie auf dem Zimmer macht«, sagte ich. »Die lässt sich bestimmt für einen Fünfi extra in den Arsch ficken und in den Mund spritzen«, präzisierte Laura. Auch sie war auf Jacqui höllisch sauer, weil sie durch den Engel viele Stammgäste verloren hatte.
Manchmal fand ich solches Gelaber witzig, manchmal dachte ich aber auch nur »Fotzenneid« und schüttelte den Kopf. Jacqui selber kriegte von unseren Gemeinheiten nichts mit. Wenn sie gerade nicht mit Kundschaft beschäftigt war, was nie länger als zwanzig Minuten dauerte, redete sie am Telefon mit ihrem Freund in Polen oder saß mit einem Wörterbuch am Küchentisch und versuchte, Deutsch zu lernen.
Manchmal fragte sie uns nach der richtigen Aussprache, und wenn wir nicht gerade fies drauf waren und ihr absichtlich was Falsches erzählten, halfen wir ihr auch.
Eines Tages saß Jacqui auf dem Bett, die blonde Mähne fiel sanft über die schmalen Schultern und die Kulleraugen waren ganz weit aufgerissen. »Stella«, fragte sie auf Englisch, »wieso sprechen hier alle im Radio andauernd über Sex? Ich höre immer nur ›Verkehr, Verkehr, Verkehr‹ – auf jedem Sender.«
Lena und ich bekamen fast Bauchschmerzen vor Lachen. Prustend versuchte ich ihr zu erklären, dass das Wort »Verkehr« im Deutschen auch mit Autos und Straßen zu tun hat. »Traffic, Jacqui. They are talking about the traffic on the highway.«
Die arme Jacqui konnte unseren hysterischen Lachausbruch nicht verstehen. Deutschland war für sie ein fremdes Land und sie konnte gerade mal ein paar Brocken Deutsch, meistens Arbeitsjargon wie »blasen«, »ficken« und »französisch total«.
Irgendwann im Laufe der Woche, das Zeitgefühl hatte ich längst verloren, kamen zwei Frauen aus Brasilien ins »Schmidt« – Neueinsteigerinnen. Die eine war groß, kaffeefarben und geschmeidig, wie man sich eben ein Mädchen von der Copacabana vorstellte. Nur wenn man ihr ins Gesicht schaute, sah man, dass sie schon um die vierzig war. Die andere war jünger, aber auch pummeliger und hatte schiefe Zähne.
Innerhalb einer halben Stunde wussten wir dank Laura alles über die beiden. Lorraine war gerade einkaufen, deshalb hatte Laura in Vertretung die Arbeitspapiere der Neuen kontrolliert. »Sie kommen aus Stuttgart und haben schon mal in Baden-Baden gearbeitet«, erzählte sie. »Ich verstehe nicht, was die hier wollen. Dort läuft es doch viel besser.«
Aber alles in allem war sie entspannter als bei anderen Neuankömmlingen, weil sie mit einem Blick sah, dass die beiden keine wirkliche Konkurrenz für sie darstellten. Laura war ja blond und hatte eine helle Haut.
»Und die soll Anfang dreißig sein?«, bemerkte Lorraine später über die ältere Brasilianerin, nachdem sie ein paar tiefe Züge von ihrer Zigarette genommen hatte. Somit waren die neuen Frauen mehr oder weniger abgestempelt und es war klar, dass sie innerhalb von zwei Tagen weg sein würden, entweder freiwillig oder von der Chefin vor die Tür gesetzt.
Gäste kamen an diesem Tag kaum, und wenn, dann meistens nur für fünfzig Euro. Ich hatte immerhin das Glück, dass ein
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