Fucking Berlin
ich telefoniert hatte und der uns abholen wollte. Er lief mehrmals an uns vorbei, ohne dass wir ihn erkannten. In der Menge gutgekleideter,nach Aftershave riechender Münchner Geschäftsleute sah er aus wie ein Rentner aus Texas, der sich verlaufen hatte. Er war dick, mit kleinen Augen, die in den speckigen Falten seines Gesichts verschwanden, und trug einen dunkelblauen Trainingsanzug und Sneakers, die einmal weiß gewesen waren.
Nach einer hastigen Begrüßung führte Lars uns zu seinem Wagen – überraschenderweise handelte es sich um einen gelben Pontiac mit Ledersitzen, und Lars gab während der Fahrt auch ordentlich Gas. Nebenbei erklärte er uns die Geschäftsbedingungen. »Hundertfünfzig Euro Miete am Tag für das Zimmer, der Rest ist euer Geld. Die Werbung müsst ihr auch alleine bezahlen, ich kann euch aber die Nummer von einem Kumpel geben, der setzt euch für fünfzig Euro die Woche in ein Internetportal«, erklärte er.
»Klingt gut«, flüsterte ich Lena zu. »Wenn wir jeden Tag sechs-, siebenhundert Euro einnehmen, also etwa wie in Freiburg, kannst du dir ausrechnen, wie viel wir hier in einer Woche verdienen können. Auf jeden Fall besser als bei der Hexe Lorraine.«
Wir quatschten mit Lars über den Puff in Freiburg und er staunte über die Arbeitsbedingungen. »Was? Ihr durftet nicht raus während der Arbeitszeit? Das ist ja Zuhälterei. In Bayern hätte ich sofort eine Anzeige am Hals. Apropos, ihr müsst euch hier als Prostituierte registrieren lassen, das ist die Voraussetzung, um in München arbeiten zu dürfen. Im Polizeirevier am Hauptbahnhof gibt es dafür eine spezielle Abteilung. Das macht ihr bitte gleich morgen, ich will keinen Stress. Bei uns läuft alles sauber«, sagte er, mit Betonung auf »bei uns«. Typisch Bordellbesitzer, dachte ich, jeder denkt, sein Laden ist der feinste, die anderen sind immer nur Dreck.
Das City-Apartmenthaus »Sunshine« war ein hässlicher Betonblock mit roter Fassade und kleinen, viereckigen Fensternmit roten Jalousien. Er lag in der Nähe des U-Bahnhofs Westend, außerhalb des Münchner Sperrbezirks, und erinnerte mich an eine Fabrik oder eine Kaserne; in der Umgebung gab es nur Lagerhallen und Schuppen. Im Erdgeschoss war eine dicke Tür aus Stahl, die offen stand, und eine einfache Treppe aus verrostetem Metall führte mehrere Stockwerke nach oben. In jeder Etage waren drei Wohnungen und an jeder Tür klebten große Fotos der Frauen, die dort arbeiteten. Jede hatte eine separate Klingel mit einer eigenen Melodie.
Wie ich den Bildern entnehmen konnte, waren fast die Hälfte der hiesigen Arbeitskräfte Transsexuelle mit langen Beinen, übertriebenem Make-up und Namen wie »Trixi« oder »Roxana«. Lena bekam den Mund gar nicht mehr zu. Lars lachte nur. »Die sind richtig gefragt«, bemühte er sich zu erklären. »Ich versuche, nicht zu viele gleichzeitig hier zu haben, sonst herrscht Zickenkrieg. Transen sind da viel schlimmer als Frauen.«
Im fünften Stock angekommen, öffnete Lars die Tür. Von einem breiten Flur gingen fünf Türen ab, zwei davon standen offen. »Eure Arbeitsräume«, sagte er. »Ihr habt Glück, dass zwei Mädels gestern frühzeitig abgereist sind, sonst wäre ich schon ausgebucht gewesen. Es ist Messezeit, da kann man richtig Kohle machen.« 6
Beide Zimmer sahen gleich aus. Neben einem Futon stand eine kleine Kommode mit einer Tischlampe aus Plastik, außerdem waren ein schwarzer Schrank mit Schiebetüren und zwei weiße Ikea-Regale vorhanden.
Nachdem Lars sich verabschiedet hatte, blieben wir in Lenas Zimmer und machten uns fertig für die Arbeit. Von unseren Kolleginnen bekamen wir an diesem Morgen vorerst nicht viel mit, erst nach drei Stunden kroch eine Frau verschlafen und ungeschminkt aus ihrem Nest und verschwand grußlos im Bad.
»Recht komische Arbeitszeiten«, bemerkte Lena, während sie zum tausendsten Mal die Fotos auf ihrem Handy anschaute.
»Ich finde es merkwürdig, dass wir hier schon so lange sitzen und es noch kein einziges Mal geklingelt hat, weder für uns noch für die anderen. Wo bleibt das sichere Geld?«, fragte ich laut.
Die anderen Frauen, die ebenfalls auf der Etage arbeiteten, zwei Ungarinnen, bekamen wir kaum zu sehen. Im Gegensatz zu uns waren sie komischerweise immer beschäftigt.
Insgesamt klingelten an dem Tag dann doch noch etwa zehn Männer bei uns, aber mit keinem wurden wir uns handelseinig. Darunter waren auch einige Ausländer, die versuchten, die Preise zu drücken – für
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