Fucking Munich
nach dreiundzwanzig Uhr. Außerdem hatte die Agentur sie nicht über den Termin informiert. Irgendetwas an der Sache war seltsam.
Julia schaute zu Patrick, der sich auf den Verkehr konzentrierte. Sie hatte ihn kennengelernt, als er vor drei Wochen in ihr Team gekommen war. Die Agentur suchte regelmäßig Mitarbeiter, weil die meisten nicht lange blieben. Oft waren es Studenten, die sich für einen gewissen Zeitraum etwas dazuverdienen wollten. Julia selbst war schon seit drei Jahren dabei, um ihr Einkommen aufzustocken. Außerdem liebte sie den Job.
Vom ersten Tag an war sie von ihrem Kollegen, den sie eingewiesen hatte, angetan gewesen. Er spielte den Kammerdiener sehr amüsant und hatte seinen Text schnell gelernt. Patrick ging in der Rolle richtig auf, schäkerte mit den Besuchern und riss an den passenden Stellen Witze. Immer hatte er eine Anekdote auf Lager. Er war intelligent und wortgewandt, keine Frage. Außer wenn sie beide allein waren. Dann wirkte er … kühler. War das das richtige Wort? Auf jeden Fall war er nicht so locker wie sonst.
Jetzt hatte er nicht seine Kammerdieneruniform, sondern ein König-Ludwig-Kostüm an: enge weiße Hosen, dazu Lederstiefel, die ihm bis zu den Knien reichten, und einen dunkelgrünen Frack aus Samt. Patrick sah phantastisch aus. Julia hatte sich ihr Kleid aus dem Fundus der Agentur ausleihen dürfen. Die historischen Kostüme waren begehrt, besonders zur Faschingszeit oder für Motto-Partys. Patrick hingegen hatte seine Sachen von zu Hause mitgebracht. Ob er im Faschingsverein war?
Julias Blick blieb an seinen Oberschenkeln hängen, um die sich der weiße Stoff spannte. In Gedanken legte sie die Hand auf Patricks Bein. Ob es sich warm und fest anfühlte? Wie er wohl reagierte, wenn sie mit den Fingerspitzen an seinem Schritt entlangfuhr? Würde es ihm gefallen? Würde er hart werden?
Hastig wandte sie ihr Gesicht ab, bevor er bemerkte, wie sie auf seinen Unterleib starrte, aber schon kurze Zeit später musste sie Patrick wieder ansehen.
«Es ist ein … Experiment», erklärte er zögernd und fuhr sich mit der Hand durch sein braunes Haar.
«Experiment? Wie meinst du das?» Aus dem Augenwinkel musterte sie ihn. Patrick hatte ein markantes Kinn, schmale Lippen, ausgeprägte Wangenknochen und eine gerade Nase. Heute wirkten seine Gesichtszüge angespannt, fast schon streng. Irgendwie machte ihn das noch viel attraktiver.
Seine Hände umklammerten das Lenkrad. War er nervös? Aufgeregt? Oder achtete er auf den Verkehr? Julia bewunderte ohnehin jeden, der in München mit dem Auto unterwegs war. Sie wäre hoffnungslos verloren. Zahlreiche Fahrspuren, Tunnels, Kreuzungen und überall Schilder. Dazu sich auf das Fahrzeug konzentrieren – das war ihr einfach zu viel. Deshalb hatte sie ihr Auto verkauft, als sie vor fünf Jahren aus der Provinz in die Großstadt gezogen war. Damals hatte sie diesen mittelmäßig bezahlten Job bei einem großen Lebensmitteldiscounter angenommen. Manchmal fühlte sie sich ziemlich wertlos, weil sie es trotz ihres Abiturs zu nichts Besserem gebracht hatte. Da war die Arbeit für die Agentur eine tolle Abwechslung. Trotzdem verfluchte sie sich täglich dafür, ihr Germanistikstudium abgebrochen zu haben, aber das eigenständige Lernen war ihr noch nie leichtgefallen. Außerdem brauchte sie das Geld.
Patrick räusperte sich. «Ich … möchte etwas ausprobieren.»
«Hat es was mit deinem Beruf zu tun?», fragte sie und zupfte an ihrem langen blonden Zopf, der ihr bis zur Brust reichte. Natürlich wusste sie, womit Patrick sein Geld verdiente. Sie hatte ihn während der Führungen ausgefragt. Er war Verhaltensforscher. Leider war er sehr zurückhaltend, was seine Privatangelegenheiten betraf, daher hatte Julia sich im Internet genauer über ihn informiert und tatsächlich einige wissenschaftliche Abhandlungen von ihm gefunden. Er hatte auf seiner Homepage Berichte über das Paarungsverhalten der Schmetterlinge im Botanischen Garten veröffentlicht und war auf seinem Gebiet ein angesehener Experte. Außerdem gab Patrick ab und zu einige Seminare an der Universität, die sehr gut ankamen. Jedenfalls vermutete Julia das, denn viele seiner Studenten hatten Kommentare im Gästebuch seiner Website hinterlassen, die voll des Lobes und der Bewunderung waren.
«Hmm, ja, ein wenig hat das schon mit meinem Job zu tun», sagte er. «Aber es ist eher ein privates Projekt.»
Ein privates Projekt …
«Und ich möchte es anonym herausgeben.»
«Das
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