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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Paar.
    «Es ist— um Ihre Worte zu gebrauchen,
ein ganz normaler Fall. Eine Erbschaftsangelegenheit. Es geht um Geld, um einen
stattlichen Betrag— »
    Ich überlegte mir unwillkürlich, wie
ein Betrag aussah, der stattlich war.
    «In diesen Fällen vergewissere ich mich
gern und hole entsprechende Auskünfte ein. Das ist alles.»
    Ich sah ihn an und wußte, daß das nicht
alles war. Er ging auf die Tür zu. Ich öffnete sie ihm. Bevor er durch war,
fragte ich noch einmal.
    «Ach so. Ich dachte, Sie hätten von
sich aus einen Verdacht gehabt - ich meine, daß die Erbfolger etwas— »
    Nachgeholfen haben, wollte ich sagen,
aber es schien mir nicht am Platze.
    «Durchaus nicht», antwortete er
bestimmt und knapp. «Wie gesagt, eine Routineangelegenheit. Ein normaler Fall.
Wie die Todesursache.»
    Ich fragte nichts mehr. Ich half ihm in
den Raglan. Er nahm die Aktentasche wieder auf, als er ihn anhatte, bedeckte
die spärlichen Sardellen mit dem Homburg und empfahl sich mit einer Verbeugung.
Dann ging er, und seine Brillengläser blitzten noch einmal gefährlich.
    Ich schloß die Tür, hörte auf den Klang
der äußeren, blieb stehen, mit den Händen in den Manteltaschen. Dann ging ich
zurück. Ich nahm die Karte wieder auf, sah sie an. Nichts. Keine Spur von
etwas.
    Trotzdem war es komisch. Die ganze
Geschichte hätte er telefonisch erledigen können. Obwohl— vielleicht hätte ich
gesagt, am Telefon könnte ich solche Auskünfte nicht geben. Auch wieder wahr.
Aber war das denn üblich, zum Teufel, nach der Todesursache herumzuschnüffeln,
wenn irgend jemand starb, und andere beerbten ihn? Da müßten ja Scharen von
Anwälten den ganzen Tag unterwegs sein. Na ja, es gab gründliche und weniger
gründliche. Trotzdem. Ich hatte ihm bereitwillig alles hergebetet, harmlosen
Gemütes und in der Hoffnung, auch etwas zu erfahren. Gar nichts hatte ich
gehört. Mit Juristen muß man vorsichtig sein. Ich schob die Karte entschlossen
an ihren Platz zurück, zog den Mantel aus und verließ die Praxis endgültig. Ich
wollte nicht das ganze Wochenende an tote alte Damen und ihre Anwälte denken.
    In der Nacht schlief ich ausgezeichnet.
So gut, daß ich garantiert noch drei Stunden hätte weiterschlafen können, als
das Telefon mich weckte.
    Es klingelte zum Gotterbarmen. Trotz
der Aussicht auf gewinnbringende Arbeit blieb ich schlaftrunken liegen und
hoffte, daß es aufhören würde. Nichts dergleichen. Es klingelte, als riefen
sechs Leute zu gleicher Zeit bei mir an. Wie eine Alarmanlage nach einem
Bankeinbruch.
    Ich wankte ins Wohnzimmer und hob den
Hörer ab. Mit einem Schlag verschwand meine schöne Müdigkeit, als ich die
Stimme erkannte und der Zorn mich packte. Mechthild, meine Perle. Sonntag früh
um halb acht.
    Ich ließ sie nicht ausreden.
    «Sind Sie denn von Gott verlassen!»
brüllte ich. «Ihre Witze fangen an, mir auf die Nerven zu gehen, Fräulein Groß!
Ich verbitte mir— »
    Ich wußte gar nicht so genau, was ich
mir verbitten wollte. Ich kam auch nicht mehr dazu, es auszusprechen. Ich hörte
sie schluchzen am anderen Ende. Weiß Gott, sie schien zu weinen. Ich hätte
nicht für möglich gehalten, daß sie das konnte.
    «Was ist denn?» fragte ich. «Heulen Sie
nicht, sondern antworten Sie!»
    Es dauerte ein bißchen, bis sie etwas
herausbrachte.
    «Meine Tante— ich habe sie eben wecken
wollen— ich glaube, sie ist— sie lebt nicht mehr— ».
    Neues Schluchzen. Lieber Himmel, dachte
ich. Und das bei den eigenen Angestellten. Das Mädchen hielt mich in Atem,
konnte man wohl sagen.
    «Ihre Tante?»
    «Ja— ich wohne doch bei ihr. Und eben—
»
    «Sind Sie sicher, daß— »
    «Ja, ich glaube— ich weiß nicht— doch,
ich glaube, sie ist tot!»
    Die Tränen schienen in den Hörer zu
fallen.
    «Hören Sie», sagte ich. «Ich bin gleich
da. Nicht mehr weinen.»
    Dann hängte ich auf.
     
     
    Ich spülte den schönen Schlaf mit
kaltem Wasser aus meinem Gesicht, entfernte den Bart notdürftig und zog mich in
beträchtlicher Geschwindigkeit an. Während ich schlürfend und Pustend eine
Tasse viel zu heißen Tee trank, sah ich nach dem Horoskop in der Zeitung.
    ‹Ein ruhiges und angenehmes Wochenende
steht Ihnen bevor. Nehmen Sie alles von der heiteren Seite. Vorsicht mit dem
Kraftwagen.›
    «Vielen Dank», sagte ich zu der Zeitung
und ging hinüber zur Praxis. Mein Totenschädel grinste mich aus staubigen
Augenhöhlen an. Ich nickte ihm kurz zu, griff nach meiner Besuchsmappe und
machte mich auf den Weg

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