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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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der linken Wand stand ein dreiteiliger Schrank aus hellem, seidigem
Birkenholz mit Aufsätzen, die fast bis unter die Decke reichten. Die beiden
Spiegel im Mittelteil warfen das wenige Licht mit mattem Funkeln zurück.
    Das Bett stand uns genau gegenüber. Es
war aus dem gleichen Holz wie der Schrank, auch der Nachttisch und ein kleiner,
fellbezogener Hocker.
    Die alte Dame lag verkrümmt auf dem
Bett, wie von einer Faust hingeschleudert. Ihr Kopf lag nach rechts hinüber,
zum Nachttisch hin. Die Bettdecke war halb zurückgeschlagen, und die linke Hand
war hineingekrallt. Der rechte Arm hing an der Bettseite hinunter.
    Die alte Dame hatte ein gütiges Gesicht
gehabt. Jetzt war es verzerrt und ihr Mund geöffnet, als hätte sie einen Schrei
ausstoßen wollen, bevor sie starb. Das graue Haar war sauber geordnet. Ein Netz
schien es zusammenzuhalten. Eine nette alte Dame. Nett und ganz bestimmt tot.
    Mein erster Gedanke war der an das
Horoskop. ‹Ein ruhiges und angenehmes Wochenende.› Ja. Es schien mir bestimmt,
eine tote alte Dame nach der anderen zu finden.
    Ich setzte meine Tasche auf den Boden
und ging mit behutsamen Schritten auf die Fensterseite zu. Das Teppichfell bog
sich unter meinen Sohlen zusammen. Ich fand die Gardinenschnüre und zog. Die
Vorhänge schwangen zurück. Das Licht überschwemmte das Bett und die Tote.
Mechthild rührte sich nicht.
    Ich hob die Tasche auf und trat neben
das Bett. Das Handgelenk, das ich anfaßte, war kalt und ohne Puls. Der Arm ließ
sich leicht bewegen, nichts von Starre war darin. Mehrere Stunden mußte sie
schon tot sein, aber gestern abend hatte sie noch gelebt, das war sicher. Ihre
Augen waren aufgerissen, als sähe sie etwas, das nur sie sehen konnte.
    Ich schob die Lider über die toten
Augen und legte den rechten Arm auf die Bettdecke zurück. Den Kopf rückte ich
in die Mitte des Kissens. Dann sah ich schnell nach Wunden oder irgend etwas
Auffälligem. Ich fand nichts.
    Von der Tür her kam leises Schluchzen.
Eben war ich ganz allein gewesen mit der Toten, und nun fiel mir ein, daß
Mechthild auch da war. Ich ging zu ihr. Ihre Schultern zuckten unter meinen
Händen.
    «Sie ist tot, Mechthild», sagte ich.
Ich rührte mich nicht, als ihr Kopf gegen meine Brust fiel und ihre Tränen samt
Make-up in mein Sonntagshemd flossen. Sie tat mir wirklich leid, und deswegen
brachte ich nichts weiter heraus.
    Nach einer langen Weile hob sie ihre
nassen Augen hoch zu mir. Ich zog mein Taschentuch heraus und tupfte daran
herum. Langsam kamen die Tränen zum Stehen.
    «Armes Mädchen», sagte ich. «Sie wohnen
noch nicht lange hier, wie?»
    «Seit drei Wochen», flüsterte sie. «Sie
hat mich aufgenommen, weil ich hier in der Stadt arbeiten wollte. Früher habe
ich sie oft besucht— »
    «Hm», machte ich. «War sie irgendwie
krank? Hat sie was gehabt, Herz oder so?»
    «Ja, ein bißchen mit dem Herzen hatte
sie wohl— aber ich glaube nicht, daß es schlimm war— , sie war nur sehr
empfindlich— schreckhaft— ein richtiges Nervenbündel. Sie regte sich sehr
leicht auf.» Mechthild wischte die letzten Tränen weg. «Aber— sie war ja auch
schon einundsiebzig...»
    Ich sah hinüber zu der stillen Gestalt
auf dem Bett.
    «So alt?»
    «Ja. Sieht man gar nicht.»
    «Nein. Wie kommen Sie zu einer so alten
Tante?»
    «Sie ist die älteste Schwester meiner
Mutter. Die waren alle weit auseinander.»
    Mechthild putzte sich die Nase mit
meinem Taschentuch. Ihre Schultern zuckten nicht mehr.
    «Ich will mir’s noch mal angucken»,
sagte ich. «Wollen Sie dabeibleiben, oder— »
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Nein, nein. Ich bleibe hier.»
    Ich ließ sie los und ging langsam zum
Bett zurück. Jetzt, nachdem die erste Aufregung vorbei war, sah ich mehr, als
ich vorhin gesehen hatte.
    Das Telefon. Es war ein weißer Apparat
gewesen, ganz modern. Er lag neben dem Nachttisch auf dem Fußboden, und
gezackte Bruchlinien zogen durch das Gehäuse. Ein paar weiße Splitter waren in
der Nähe verstreut. Der Hörer lag etwas entfernt, aber er war auf den Teppich
gefallen und heil. Ich nahm ihn auf und hielt ihn ans Ohr. Die Leitung war tot.

    Die alte Dame hatte den Apparat
heruntergerissen, bevor sie starb. Vielleicht wollte sie Hilfe holen im
Todeskampf. Oder hatte sie noch gesprochen?
    Ich wandte mich um zu Mechthild.
    «Hat sie telefoniert in der Nacht?
Haben Sie es klingeln hören?»
    Sie kam näher heran.
    «Nein, ich habe nichts gehört. Ich
schlafe wie— wie eine Ratte, und oben hört man

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