Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
ließ sich nichts davon anmerken, doch in ihrem Kopf wirbelte alles herum. Ständig musste sie überlegen, was sie tun oder sagen durfte oder nicht durfte.
Frances schenkte Sherry aus dem Krug auf dem Schreibtisch aus und reichte Tanni dann eine großzügige Portion Genever. Tanni schloss die Augen. Er roch noch schlimmer, als sie es in Erinnerung hatte, doch sie zwang sich, ihn hinunterzustürzen. Sofort fühlte sie sich leicht benommen und entspannte sich ein wenig.
Kurz darauf erschien Alice. Sie hatte einen ungeschickten Versuch unternommen, ihr Haar nach der neuesten Mode zu frisieren, und brachte einen Teller voller klumpiger grauer Platten mit. »Möhrenkaramell!«, verkündete sie stolz.
»Oh, wie köstlich!«, rief Frances und gab sich Mühe, begeistert auszusehen. Dabei schob sie den Teller unauffällig hinter Tannis Apfelkuchen.
Als sie das Schlafzimmer ihrer Mutter aufräumte, hatte Alice einen uralten Lippenstift gefunden, den sie nun vor dem Spiegel über dem Kamin auftrug. Dann reckte sie den Hals, um die Wirkung ihrer neuen Frisur im Schein des Kaminfeuers zu prüfen. Es sah besser aus, wenn sie ein paar Schritte zurücktrat.
Evangeline hatte das Grammofon und die Schallplatten mitgebracht; lebhafte neue Musik, die man angeblich »Swing« nannte, und langsamere, stimmungsvollere Klänge, die sie als »Jazz« bezeichnete. Ein Freund habe die Stücke in Paris eingespielt, erklärte sie den anderen. Im Gegensatz zu ihrer nachlässigen Art, sich zu kleiden, die sie sonst an den Tag legte, trug Evangeline heute ein perlenbesetztes Kleid aus Penelopes Jugend. Sie hatte es in einer Kiste auf dem Dachboden entdeckt. In dem Schmuckkasten, den Richard ihr gegeben hatte, hatte sie außerdem ein paar Amethyste gefunden. Von seinem Versprechen, sie für Alice neu fassen zu lassen, wusste sie nichts. Sie sah blendend aus und ihre Schönheit kam ausnahmsweise voll zur Geltung.
Als Alice den Schmuck an Evangeline sah, stockte ihr kurz der Atem. Dann stürzte sie ihren Sherry in einem Zug hinunter.
Elsie kam herein, sie hatte sich einen neuen roten Seidenschal effektvoll um die Schultern geworfen. Dann rauschte sie wieder aus dem Raum und kehrte mit einer elfenbeinernen Zigarettenspitze in der einen und einer Platte mit ungeschickt zurechtgeschnittenen Sandwiches in der anderen zurück. Die Brote waren mit einem feuchten Geschirrtuch bedeckt, das sie nun mit großartiger Geste herunterzog. »Überraschung! Hab ich selbst gemacht«, verkündete sie triumphierend. »Lachs aus der Dose und … Fischpaste«, setzte sie ein wenig unsicher hinzu. Bernie hatte beteuert, dass Frances ganz bestimmt begeistert wäre. Die feinen Pinkel, für die er arbeitete, hatten beinahe Luftsprünge gemacht, als eine Ladung davon in ihren Büros auftauchte. Sie hatten ihm gesagt, das sei echter Luxus. Bernie erzählte Elsie, dass das Zeug wahnsinnig teuer sei, dass er es gekostet habe und dass es ekelhaft schmecke. Feine Pinkel hatten wirklich einen komischen Geschmack. Elsie hatte sich in der Küche die Finger abgeleckt und ihr war fast schlecht geworden, als sie die widerlichen kleinen schwarzen Dinger im Mund spürte. Bernie hatte recht. Es schmeckte wie der Fisch, den Mum montags manchmal billiger kriegte, weil er nicht mehr ganz frisch war. Stolz zeigte Elsie ihre Brote herum.
»Ist das Räucherhering?«, fragte Alice und zog die Nase kraus. »Der ist aber ein bisschen schwarz geraten, oder?«
»Elsie, Schätzchen! Kaviar!«, rief Frances begeistert.
Elsie sagte ihr, der Kaviar sei ein Geschenk von Bernie, der sich im Übrigen entschuldigen ließ. »Haben nach ihm geschickt, ist wohl was Dringendes«, flüsterte sie Frances zu.
Feingemacht, gebadet und voller Vorfreude auf ein ganz besonderes Abendessen entspannten sich die fünf jungen Frauen. Sie kamen sich extravagant und mondän vor, wie sie so da saßen, an ihren Drinks nippten, Jazzmusik hörten und auf die Männer warteten. Für kurze Zeit vergaßen sie ihre Pflichten, die Rationierungen, den Mangel und die Kreuzschmerzen, genossen den Moment und wünschten sich, er würde ewig dauern. Sie tranken den Sherryleer und Frances meinte, sie könnten ebenso gut mit dem Wein weitermachen.
Tanni blieb beim Genever. Jetzt, wo sie sich an den Geschmack gewöhnt hatte, war er gar nicht mal so schlecht.
Eine wohlige Heiterkeit breitete sich aus. »Was machen denn Oliver und Hugo bloß?«, fragten sie sich von Zeit zu Zeit, doch sie waren alle ein wenig beschwipst und
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