Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
Mahlzeit herunterzubekommen.«
Der Wein war wunderbar. Frances schaffte es, ihre Frikadelle in winzige Stücke zu zerschneiden und sie unter dem Kohl zu verstecken. Der hervorragende Wein sorgte dafür, dass ihr angenehm warm wurde. Sie holte den Nachtisch von der Anrichte – Rosinenpudding mit Vanillesoße – und aß tapfer ein Stück davon. Dabei versuchte sie die Tatsache zu ignorieren, dass Eipulver alles nach Eipulver schmecken ließ, egal was man anstellte. Sir Leander goss den Rest des Weins ein.
Im Kamin brannte ein kleines Feuer und die französische Uhr auf dem Kaminsims tickte melodisch. Das kleine Esszimmer war einer der ältesten Räume des Hauses und hatte immer noch bleiverglasteFenster. Frances zündete den Spiritusbrenner wieder an und bereitete für sie beide eine Kanne Ersatzkaffee zu. Dann entschuldigte sie sich.
»Du weißt ja noch, wo die Toilette ist, oder?«
»Ja, danke.«
Sie machte sich auf den Weg zu der Toilette im Erdgeschoss, neben dem Raum, in dem die Stiefel und Gewehre aufbewahrt wurden. Sie lag am anderen Ende des holzvertäfelten Flures, der weitere Porträts der de Balforts aufzuweisen hatte. Unterwegs warf sie einen Blick in den in Gold und Weiß gehaltenen Salon. Der Raum war das private Wohnzimmer von Hugos Mutter gewesen und vor dem Krieg hatte Frances hier viele fröhliche Abende verbracht. Es war immer schon der Raum im Haus gewesen, den sie am meisten mochte, mit seinen bodenlangen venezianischen Spiegeln, der bemalten Decke und dem Ausblick auf den Park.
Nun sah er wie der Rest des Hauses verwahrlost aus. In einer der Glastüren war eine Scheibe kaputt, das Loch war mit Pappe verdeckt worden, das Parkett war wellig. An der Decke zeigte sich ein feuchter Schimmelfleck. Es war offensichtlich, dass die de Balforts knapp bei Kasse waren. Tante Muriel hatte sich immer schon äußerst kritisch über Sir Leanders extravagante Pläne geäußert und nun dachte Frances, dass sie vielleicht doch recht gehabt hatte. Warum hatte er das Geld nicht dafür ausgegeben, das Haus in Ordnung zu halten? Es war in einem schrecklichen Zustand.
Sie ging weiter den Flur entlang zur Toilette, öffnete die Tür und schrie auf. Etwas Großes, Schwarzes verstopfte die Toilette. Sie schaute vorsichtig hin. Es war eine tote Fledermaus. Sie schloss die Tür und ging durch den Flur zurück zur großen Treppe. Auf dem Treppenabsatz gab es eine weitere Toilette. Ein Hauch von Tabakqualm verriet ihr, dass Sir Leander wie üblich nach dem Essen eine Zigarette rauchte. Sie würde ihm nichts von der Fledermaus erzählen, das würde ihn nur aufregen. Auf Zehenspitzen schlich sie an der halb geöffneten Esszimmertür vorbei und ging die breite Treppe mit ihrem abgewetzten türkischen Läufer hinauf. Auf halber Höhe blieb sie plötzlich wie angewurzeltstehen. Irgendwo in den oberen Regionen des Hauses war ein Geräusch zu hören.
Im Dachgeschoss befanden sich die Zimmer der Hausmädchen, doch die hatten gekündigt, um sich Arbeit in einer Fabrik zu suchen. Es gab nur noch die alte Köchin, die dafür zu alt war. Sie hatte sonntags immer frei und besuchte ihre Schwester in Brighton. Hugo war bei der Besprechung der Bürgerwehr und Sir Leander konnte die Treppe zu seinem Schlafzimmer im ersten Stock nicht mehr hochsteigen. Daher wohnte er nun im Erdgeschoss in den ehemaligen Räumen des Butlers. Frances lauschte angestrengt und schlich auf Zehenspitzen zum Treppenabsatz. Im zweiten Stock bewegte sich etwas; dort befanden sich die Kinderzimmer, wie Hugo ihr erzählt hatte.
»Hallo?«, rief sie. Das Geräusch verstummte. Wahrscheinlich war es eine Ratte. Oder hatten sich Eichhörnchen dort breitgemacht? Frances lauschte noch einen Moment, hörte aber nichts mehr. Sie ging weiter und öffnete die Tür zum Bad. Es war voller Spinnweben und diente offenbar als Abstellraum für alte Bücher und kaputte Stühle, doch wenigstens gab es hier keine Fledermäuse. Und die Spülung funktionierte auch. Sie wusch sich die Hände mit einem kleinen ausgetrockneten Bröckchen Seife und sah sich nach etwas um, woran sie sie abtrocknen könnte. Dann fiel ihr ein, dass sich neben den Warmwasserleitungen normalerweise ein Trockenschrank befand. An der Wand hinter dem Bad lehnte ein schwerer vergoldeter Bilderrahmen, doch sie konnte gerade noch den Umriss einer Schranktür erkennen. Sie schob den Rahmen ein Stück zur Seite und öffnete die Tür. Dahinter sah sie jedoch keine Handtücher, sondern eine kaputte Musiktruhe mit
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