Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
Evangeline hatte darauf bestanden und ihnen zum ersten Mal eine Ohrfeige angedroht, falls sie Theater machten. Tanni war immer noch bettlägerig, die Geburt hatte sie geschwächt, außerdem hatte sie eine fiebrige Infektion.
Nun zappelten Maude und Tommy in der Kirchenbank herum und traten um sich, doch Kipper spürte die ängstliche Sorge, die über allem lag, und lehnte seinen Kopf still an Evangelines Arm. Eine leichenblasse Alice zerrte ihre widerstrebende Mutter durch den Mittelgang. Es war das erste Mal seit dem Tod ihres Mannes, dass man Mrs. Osbourne in der Kirche zu Gesicht bekam, doch heute hatte Alice keinerlei Rücksicht auf ihre Unpässlichkeiten oder den Zustand ihrer Nerven genommen. Die landwirtschaftlichen Helferinnen waren aus ihrer Unterkunft hergekommen und drängten sich in einer der hinteren Kirchenbänke. In Rock und Hut sahen sie verletzlich und jung aus. Selbst die Gruppenleiterin war gekommen.
Mit ernster Stimme hielt Hugo de Balfort die Lesung.
Als Oliver an der Reihe war, trat er auf die Kanzel und verkündete, dass er heute nicht predigen werde. Heute würden sie nur beten. Neben den üblichen Gebeten für den König und die Königin, die Regierung, die Streitkräfte, den Bischof und das Land sprach Oliver besondere Gebete für Leute aus dem Dorf, die bei der Truppe dienten oder als Freiwillige ihren Beitrag leisteten – Richard Fairfax auf seinem Zerstörer, der Versorgungsschiffe auf ihrem Weg durch den Nordatlantik begleitete, die Krankenschwestern an der nordafrikanischen Front, Penelope Fairfax beim
Women’s Voluntary Service
in London, alle Männer und Frauen, die weit weg von zu Hause ihren Dienst taten, in Fabriken arbeiteten oder Krankenwagen fuhren.
Vereinzelt war ersticktes Schluchzen zu hören.
Zum Schluss riet er seinen Gemeindemitgliedern, weiterhin aneinander, an all jene, für die sie beteten, und vor allem an ihren Schöpfer zu glauben.
Ein Gemeindemitglied jedoch begehrte auf. Der Anblick der in stillem Gebet geneigten Köpfe erfüllte Frances mit blanker Wut darüber, dass die Deutschen die Welt derart terrorisieren konnten. Wir führen Krieg gegeneinander, stimmt’s?, dachte sie trotzig. Also gut, dann würde sie die verdammten Nazis bekämpfen. Auch sie neigte den Kopf, jedoch nicht zum Gebet. Sie schwor Gott einen feierlichen Eid, für den Fall, dass er zuhörte, und wenn nicht, dann dem Teufel selbst, dass sie ihre Chance nutzen würde. Sie würde sich zur Agentin ausbilden lassen, entweder für die
Special Operations Executive
oder für die
Auxis
, wer immer den Deutschen den größten Schaden zufügte. Man hatte ihr gesagt, sie solle an Weihnachten zu einem zweiten Gespräch mit dem kleinen Mann nach London kommen, und wenn sie sie nahmen, würde sie sofort mit der ersten Phase ihrer Ausbildung beginnen: Ihre Abwesenheit vom Hof würde nicht so sehr auffallen, wenn alle landwirtschaftlichen Helferinnen Weihnachtsurlaub hatten. Und was Tannis Familie anging … inzwischen war ihnen allen klar, dass es für Menschen wie Tannis Familie bei diesem Krieg nicht um lästige Rationierungen, hässliche Verdunkelungsvorhänge und unangenehme Pflichten bei der Landarbeit ging. Im kalten Licht des Tages hatte sie erkannt, wie verrückt der Plan war, den sie in betrunkenem Zustand geschmiedet hatten, um den beiden kleinen Mädchen zu helfen. Doch Tanni verließ sich nun auf sie – und Olivers Worte, dass sie aneinander glauben sollten, hatten gefruchtet. Nun gut, selbst wenn die
Auxis
oder die anderen sie annahmen, würde sie einen Weg finden, ihr Versprechen einzulösen. Darüber würde sie nachdenken, wenn es so weit war, beschloss sie. Tanni zu helfen war so etwas wie ihr eigener Kampf gegen die Nazis.
Nach dem Gottesdienst waren alle bedrückt, doch niemand ließ sich den anderen gegenüber etwas anmerken. Alice schubste ihre Mutter gnadenlos in die Reihe der Gemeindemitglieder, die Oliver im Hinausgehen die Hand schüttelten.
Frances verließ die Kirche und wartete draußen auf Hugo. Sie hatte vorgehabt, mit ihm und Leander auf Gracecourt zu Mittag zu essen. Als Hugo die Einladung am Tag nach ihrer Party wiederholt hatte, war sie in Gedanken so mit der Geburt von Tannis Baby beschäftigt und hatte außerdem einen derart schrecklichen Kater, dass ihr kein Vorwand einfiel, sie auszuschlagen. Mittlerweile war ihr klar, dass beide Männer das Mittagessen für eine Verlobungsfeier halten mussten.
Hugo wechselte ein Wort mit Oliver, dann trat er zu ihr und
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