Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
da dachte ich, ich fahre mal nach London. Junge, die Züge sind vielleicht voll. Dann kam ich hier an und alles war dunkel. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Und dann hab ich jemanden nach dem Weg gefragt und sah die Ankündigung für den geselligen Abend und dass Soldaten willkommen sind. Hab Sie von da drüben beobachtet, wie Sie herumgelaufen sind und alles organisiert haben, so als hätten Sie hier das Sagen. Ist das Ihre Kirche?«
»Sozusagen, jetzt, wo ich in London bin. Ich helfe hier manchmal aus.« Er hatte sie beobachtet? Bestürzt klopfte Alice an ihrer Uniform herum. Wahrscheinlich sah sie schrecklich aus. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass das Licht aus war. Warum, oh, warum hatte sie bloß vergessen, sich die Lippen zu schminken? Sie hatte schon seit Tagen nicht mehr gebadet. Und warum fiel ihr nichts ein, was sie sagen könnte? Automatisch griff sie ein vertrautes Thema auf. »Mein Vater war hier Hilfspfarrer, gleich nach seiner Ordination. Dann hat er seine eigene Gemeinde auf dem Land bekommen …«
»Ihr Daddy war was?«
»Er war Pfarrer.«
»Also, dann sind Sie eine Pfarrerstochter. Nun, Alice, ich komme selbst aus einer Familie von Kirchgängern, in der die erstgeborenen Söhne Joe heißen. Mein offizieller Taufname ist Joseph Lee Lightfoot, der Vierte. Keine Ahnung, was für eine Kirche das hier ist, aber in meiner Familie sind wir alle Südliche Baptisten. Ich dachte, ich sag es besser, dann hab ich das erledigt, wo Sie doch selbst Kirchgängerin sind.«
Alice hatte noch nie von den Südlichen Baptisten gehört. »Oh?«, sagte sie schwach.
»Geht’s Ihnen besser? Gut, dann red ich einfach weiter. Ich komm auch vom Land, aus einer kleinen Stadt namens Goshen, Georgia. Etwa hundert Meilen von Atlanta entfernt. Von Atlanta haben Sie schon mal gehört, oder?«
Sie nickte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo das lag.
»Meine Familie hat eine Farm, und das schon seit dem Bürgerkrieg. Daddy hat ein bisschen Neuland betreten, sozusagen, hat ein paar Läden, die Motorgeräte und Futter verkaufen, Mischfutter, Alleinfutter, solche Sachen. Hatte etwa zehn Läden zwischen Goshen und Atlanta, als ich mich gemeldet hab. Will, dass ich wiederkomm und ihm helfe, die Geschäfte zu führen, wo ich doch der einzige Sohn bin. Hat mir zweihundert Morgen für ’n Haus versprochen, wenn ich wiederkomm.«
Was »Motorgeräte« und »Alleinfutter« sein mochten, konnte Alice nur ahnen. Und wie viel Land musste man besitzen, um zweihundert Morgen davon abzutreten? Für ein Haus? Wie war es wohl in Amerika? »Ich habe Hunger«, sagte sie. »Ich vermute, die Kekse haben nicht überlebt, oder? Ich habe vergessen, etwas zu Mittag zu essen, und jetzt ist mir ein bisschen schwindelig. Normalerweise bin ich viel ruhiger.«
»Das glaub ich Ihnen gern. Hier, essen Sie das. Dieser Teller hier sieht einigermaßen sauber aus … schade, es ist schon zu spät, um Sie zum Essen einzuladen; der Offiziersclub hat schon zu und die meisten Restaurants wahrscheinlich auch. Wohnen Sie hier in der Nähe? Ich dachte, vielleicht könnten wir morgen zusammen essen gehen. Wenn Sie nichts anderes vorhaben, heißt das«, sagte Joe. Er reichte ihr einen Teller mit Keksen, die ein wenig mitgenommen aussahen. Alice aß sie trotzdem. Sie schmeckten nach Staub, aber das war ihr egal. Sie hatte einen Bärenhunger.
»Im Offiziersclub kriegt man ein ganz anständiges Steak. Wo wohnen Sie?«
Steaks
? Bei der bloßen Vorstellung wurde Alice fast ohnmächtig. Außer dem berüchtigten Gifthack hatte sie seit Jahren kein Rindfleischmehr gegessen. »Wenn das Haus noch steht, dann wohne ich bei zwei alten Damen, die es nicht so gern sehen, wenn ich Besuch bekomme.« Ihr fiel auf, dass sie fast achtundzwanzig Jahre alt war, doch abgesehen von ihrem Vater und den Mädchen im Internat hatte sie ihr ganzes Leben lang mit älteren Frauen zusammengewohnt, angefangen bei ihrer Mutter. Sie wusste nicht, was sie als Nächstes sagen sollte. Sollte sie sich mit ihm zum Essen verabreden? Er schien wirklich nett zu sein, aber amerikanische Soldaten waren ja dafür bekannt, dass sie sich mit Charme, Schokolade und Zigaretten bei nichtsahnenden Mädchen einschmeichelten. Sie wollte nicht, dass er sich falsche Vorstellungen machte. Andererseits wollte sie ihn auch nicht verprellen.
»Sie sehen es nicht gern, wenn ich Besuch bekomme«, wiederholte sie ohne große Überzeugung.
Joe lachte leise. »Das ist okay. Ich weiß ja, wie alte
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