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Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Titel: Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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Damen sind – ganz schön streng manchmal. In Goshen gibt’s ’ne Menge alte Damen. Ich bring Sie trotzdem nach Hause. Dagegen werden sie ja wohl nichts haben, schließlich ist es gefährlich da draußen. Außerdem«, fügte er hinzu und nahm ihre Hand, »muss ich doch wissen, wo ich Sie morgen abholen soll, damit wir zusammen essen gehen und ich Sie bei Licht sehen kann, bevor mein Urlaub vorbei ist. Dass ich sehen kann, ob Sie so hübsch aussehen wie vorhin, bevor das Licht ausging. Daddy sagt, wenn ein Mädchen hübsch ist und sich mit der Heiligen Schrift auskennt, dann bringt sie schon das Wesentliche mit.«
    Wovon redete er bloß? Was meinte er mit »das Wesentliche«? Dann zog sie scharf die Luft ein. Hübsch? Hoffentlich war ihr Gesicht wenigstens sauber. Die Heilige Schrift war ihr im Augenblick ziemlich egal.
    »Oh«, sagte sie nervös. »Aber eigentlich sollte ich wohl – ich glaube, ich sollte noch beim Aufräumen helfen …« Auf der anderen Seite des Gemeindesaals kehrten Judy und Ellen Glasscherben und Schutt zusammen und warfen ihr missbilligende Blicke zu.
    »Ach, kommen Sie, schnell.« Er nahm ihre Hand. »Ich wette, Sie helfen immer beim Aufräumen.« Er schob sie entschlossennach draußen. Sie protestierte nicht: Er hatte recht, an den meisten Abenden räumte sie tatsächlich auf und eigentlich genoss sie es, davon befreit zu werden.
    Auf der Straße sahen sie, dass die Raketen ein Bürogebäude und ein Bekleidungsgeschäft zerstört hatten, ein Mietshaus in der Nähe stand in Flammen. In den Straßen waren die Rufe der Brandwachen zu hören, die Bürgersteige waren mit Schutt, Ziegeln und Betonbrocken übersät und außerdem hatte das Wasser aus den Feuerwehrschläuchen sie gefährlich glatt werden lassen. Alice stolperte und wäre fast gestürzt, als sie sich einen Weg durch die Trümmer bahnte.
    »Erlauben Sie?«, sagte Joe. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie auf den Arm genommen und ging mit langen Schritten sicher durch das Durcheinander. Sie legte ihm die Arme um den Hals. Was für ein Abend! Nach einem kurzen Moment sagte sie: »Sie können mich jetzt runterlassen. Das Schlimmste haben wir hinter uns. Das ist der Platz, an dem ich wohne. Das Haus der alten Damen ist gleich da drüben, an der Ecke neben dem Fish-and-Chips-Laden.«
    Als er sie auf die Füße stellte, war sie überrascht, dass sie ihn nur widerwillig losließ. »Fish and Chips – das ist gebratener Fisch, oder? Und
Chips
sind
French Fries
, also frittierte Kartoffelstäbchen, stimmt’s? Haben die noch auf? Hier sieht alles so dunkel aus.«
    »Ich kann sie riechen.«
    »Dann kommen Sie. Sie haben heute Abend noch nichts gegessen und ich will nicht, dass Sie mir ohnmächtig werden.«
    Zehn Minuten später hielten sie fettige, in Zeitungspapier gewickelte Portionen in der Hand und Joe sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. »Müssen Sie schon reingehen? Oder können wir uns noch hier auf die Bank setzen und unseren Fisch essen, bevor er kalt wird?«, fragte er. »Oder finden Sie es zu kühl hier draußen?«
    »Nein, das geht schon«, sagte Alice vorsichtig. Sie lauschte angestrengt ins Gebüsch. Hinter der Bank erstreckte sich der dunkle, von Bäumen und Büschen gesäumte Platz, der normalerweise einTreffpunkt für Pärchen und Prostituierte und ihre Kundschaft war. Joe schien zwar nett zu sein – eigentlich sogar sehr nett –, doch Alice war sehr darauf bedacht, ihn nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Oder? Plötzlich wurde sie unsicher. Was würde sie tun, wenn er doch auf dumme Gedanken kam?
    Sie fielen über ihren Fisch und die fetttriefenden Kartoffelstäbchen her. Joe hatte etwas verlangt, das er »Ketchup« nannte, was immer das auch sein mochte, doch Alice hatte reichlich Essig und Salz auf ihre Portionen geschüttet. »Kein Ketchup«, sagte sie. Nach dem Essen fühlte sie sich viel besser. Joe legte wieder den Arm um sie und so saßen sie eine Weile da. Alice war erleichtert. Im Gebüsch blieb es ruhig. Vermutlich hatte die Rakete die nächtlichen Besucher des Platzes verscheucht. Sie entspannte sich und lächelte in die Dunkelheit. »Was ist Ketchup?«
    Joe lachte. »Tomatensoße.« Er sprach das Wort »Tomaten« ganz anders aus als sie. »Ich kann mir ein Leben ohne Ketchup gar nicht vorstellen. In Amerika isst das jeder.« Er blickte nach oben. »Da sind ein paar Sterne aufgegangen – allerdings nicht so viele wie bei uns zu Hause. Ich vermisse die Geräusche in der Nacht, das

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