Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
und starrte Anton voller Verzweiflung an. Auf der Straße war Geschrei zu hören, es kam immer näher. In Dr. Josephs Arbeitszimmer flackerten die Kerzen und der Rabbi murmelte hastige Worte. Sie hoben den Schleier von Tannis Gesicht. Etwas, das in eine Serviette gewickelt war, wurde unter Brunos Fuß geschoben und Tanni hörte das Splittern von Glas. Anton gab einen erstickten Laut von sich. Die Zwillinge kreischten.
»Schsch«, sagte Tanni, die kleine Mutter, ohne nachzudenken.
»
Masel tov
!«, riefen ihre Mutter und Frau Zayman mit versagender Stimme. Von der Straße war ebenfalls das Splittern von Glas zu hören, gleichzeitig wurden die Rufe und der Klang schwerer Stiefel lauter.
»Wir müssen gehen. Wir müssen versuchen, die Synagoge zu schützen!«, sagte der Rabbi über den Protest von Tannis Vater hinweg. »Schnell!«
Der Rabbi und Anton rannten aus dem Haus und Tannis Vater verriegelte die Tür hinter ihnen, jedoch nicht, bevor Tanni einen Blick auf einen Mob erhaschte, der von Soldaten gefolgt um die Ecke bog und brüllte: »Juden
raus
!«
»Schnell«, drängte ihr Vater und schob seine Familie zum hinteren Teil des Hauses.
Doch Tanni machte sich los und rannte zum Fenster zurück. »Anton!«, schrie sie. »Oh, Papa, die Soldaten haben den Rabbi und Anton geschnappt! Bitte … was ist da los?«
Ihr Vater packte sie und zog sie zur Gartentür. Als sie sie erreichten, riss ihre Mutter sie an sich. »Mein geliebtes Kind«, sagte sie und umarmte Tanni heftig. Dann küsste sie sie und beugte sich hinunter, um Klara und Lili von Tannis Knien wegzuziehen. »Liebling, sei mutig und tu, was ich dir sage.«
»Sei eine gute Ehefrau. Sichere Reise.« Frau Zaymans Augen wirkten riesig in ihrem bleichen Gesicht und schauten sie angsterfüllt an. Draußen begann die Meute zu brüllen, mehr Glas splitterte, Schüsse waren zu hören.
Tannis Mutter drückte ihr die Reisetasche in die Hand, die sie im Nähzimmer gesehen hatte. »Deine Aussteuer. Wir haben einpaar Sachen zusammengepackt, eine Braut muss immer ein paar Dinge haben. Wir dachten, wir hätten mehr Zeit. Komm sicher nach England und sei bereit, dich um deine Schwestern zu kümmern, wenn sie nachkommen.«
»Tanni und Bruno müssen los, solang es noch geht! Los!« Dr. Joseph schob Tanni zur Gartentür. Hinter ihm rief ihre Mutter: »Wir sehen uns in England, sobald …«
»Papa, lass Klara und Lili jetzt mit mir fahren!«
»Nicht genug Platz im Boot«, zischte der alte Mann. »Komm!«
Ihr Vater zerrte die Gartentür auf. »Kind, sie werden bald bei dir sein, so Gott will. Sie haben Papiere für einen Zug mit Kindern, den Kindertransport. Es ist besser, wenn du als Erste ankommst und alles vorbereitest, sodass du dich um sie kümmern kannst. Versprich mir, dass du dich um sie kümmerst, egal, was passiert. Gib mir dein Wort, Tanni!« Tanni nickte stumm. »Nun geht!«, befahl Dr. Joseph und schob Tanni und Bruno durch die Gartentür. Irgendwo wurde ein bedrohliches Knistern immer lauter. Über ihren Köpfen breiteten sich Rauchschwaden aus. Schüsse waren zu hören und wieder splitterte Glas. Beifallsrufe ertönten. »Juden raus! Alle Juden raus!« Über allem erhob sich der Schrei einer Frau. Durch den Lärm hindurch hörte man, wie jemand gegen die Haustür der Josephs schlug.
Als Dr. Joseph Bruno hinter ihr herschob, blickte Tanni zurück. Ihre Mutter hatte die Zwillinge an sich gedrückt und starrte in die Richtung der Haustür. Tanni hörte noch mehr Glas splittern. Frau Zayman winkte hilflos mit ihrem Taschentuch. »Tanni, Tanni, geh nicht weg. Ich hab Angst«, weinte Klara. Lili warf ihr Kusshände zu.
Tanni war vollkommen außer sich. »Ich kann sie nicht zurücklassen!«
»Geh!«, brüllte ihr Vater durch den Lärm und gab seiner Tochter einen letzten entschlossenen Stoß. »Der Bürgermeister hat versprochen, uns zu schützen – ich kümmere mich um seinen verkrüppelten Sohn. Geht!«
»Ich verspreche es, Papa«, weinte Tanni, doch die schwere Gartentür war schon zugeschlagen und sie hörte, wie das altmodischeEisenschloss verriegelt wurde. Gleich darauf erklang von unten ein Platschen, als der schwere Schlüssel im Fluss landete. Der alte Mann rief, sie sollten sich beeilen. Tanni und Bruno stolperten den dunklen Pfad hinunter zum Ufer. Beißender Rauch machte ihnen das Atmen schwer.
Ein kleines Boot wartete, der besorgte alte Mann hatte das Tau bereits gelöst. Es schaukelte wild, als Tanni stolperte, über den Sitz fiel und sich
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