Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
dem Bahnsteig gestapelt wurde. Während dieLok ungeduldig dampfte, zählte Albert fünf große Reisekoffer, eine Reihe von Henkeltaschen und mehrere Handkoffer, eine schicke Handtasche und einen geschmackvollen Kosmetikkoffer aus Krokodilleder.
Der Schaffner gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass das Gepäck ausgeladen war und verdrehte die Augen, als er auf den Kofferberg auf dem Bahnsteig deutete. Dann griff er noch einmal hinter sich in den Zug und warf Albert das zu, worauf er gewartet hatte: ein mit einer Kordel verschnürtes Bündel Zeitungen, die Passagiere auf ihren Sitzen liegengelassen hatten. Der Schaffner war ein ordnungsliebender Mann und hätte sie weggeworfen, doch Albert meinte, solch eine Verschwendung sei eine Schande. Er winkte ihm zum Abschied, rief dann mit seiner lautesten Bahnhofsvorsteherstimme »Alles einsteigen!« und blies auf seiner Pfeife, obwohl wie üblich niemand in den Zug einstieg.
Als der Zug aus dem Bahnhof fuhr, holte Albert die altertümliche Gepäckkarre und schob sie zu dem Neuankömmling und seinem Gepäck. Die junge Frau hatte ihm den Rücken zugekehrt und blickte auf das Dorf. Über ein paar Schindeldächern und Gartenmauern kräuselte sich Rauch in den nassen grauen Himmel. Eine Reihe georgianischer Häuser mit Oberlichtern und polierten Messinggriffen an der Tür war dem Dorfanger zugewandt. In einem dieser Häuser lebte Mrs. Richard Fairfax. Es gab eine alte Kirche aus Feuerstein mit einem normannischen Turm, um die Kirche herum war der Friedhof angelegt und dahinter stand das Pfarrhaus. Genau gegenüber der Kirche war ein imposantes Haus im Queen-Anne-Stil zu sehen. Es hatte hohe Fenster und lag hinter einem schmiedeeisernen Tor, das in eine Gartenmauer eingelassen war. Es gab ein Wirtshaus, einen Gemüsehändler, einen Metzger und Albert wusste genau, wo der rote Briefkasten stand. Der Nieselregen hatte alle Dorfbewohner in ihre Häuser getrieben, außer Jimmy, den Jungen des Metzgers, der mit dem Fahrrad über den Bahnhofsvorplatz flitzte. Sonst waren nur noch die Kühe auf der Weide nebenan zu sehen, die unbeeindruckt von der Nässe in aller Gelassenheit wiederkäuten.
Ein zarter Blumenduft wehte zu Albert hinüber. Unwillkürlich straffte er die Schultern. »Lassen Sie mich Ihnen mit dem Gepäck helfen, Madam … Miss«, korrigierte er sich. Aus der Nähe betrachtet war sie nur ein schmächtiges, junges Ding. Ihre volle Unterlippe zitterte, und die war, wie Albert missbilligend feststellte, um einiges röter als die Natur es vorgesehen hatte. Angemalt! Und wo Farbe ist, da ist auch Puder, dachte er düster. Kein Mädchen, das etwas auf sich hielt, sollte sich wie ein Flittchen zurechtmachen. Dann bemerkte er die glatte Haut ihrer Wangen, die trotzige kleine Nase und das entschlossene Kinn. Die dunkelblauen Augen des Mädchens waren auf Albert gerichtet. Sie blinzelte Tränen zurück und sein Herz schmolz dahin.
»Ist dies Crowmarsh Priors? Ganz Crowmarsh Priors?«
»Jawohl, das ist es, Miss.« Albert nickte liebevoll in Richtung Dorf. Für jemanden, der wie Albert Hawthorne in Sussex geboren und aufgewachsen war, gab es in ganz England keinen besseren Ort.
Die junge Frau räusperte sich. Irgendetwas an ihr kam ihm bekannt vor, dachte Albert. Er war sich sicher, dass er sie schon einmal gesehen hatte … und dann dämmerte es ihm. Die Zeitung! Sie war das Mädchen im Brunnen! Hier auf dem Bahnsteig sah sie jedoch sehr damenhaft aus und sie hatte zweifelsohne teures Gepäck …
Sie zog ihre Pelzstola enger um die Schultern und starrte ihn trotzig an. »Vielleicht könnten Sie mir sagen, wie ich zu Glebe House komme?«
Albert staunte. Sie wollte zu Lady Marchmont! Warum bloß? Lady Marchmont war Witwe, sie hatte keine Kinder und bekam nie Besuch. Vielleicht war die junge Frau eine Verwandte von ihr. In Alberts Augen sah sie jedenfalls nicht wie die Sorte Frauen aus, die sich als Gesellschafterinnen anheuern ließen, wie dieses käsebleiche Geschöpf mit Brille und dicken Wollstrümpfen, die der armen bettlägerigen Lady de Balfort in den letzten Jahren ihres Lebens Gesellschaft geleistet hatte. Albert schüttelte den Kopf. Mit einer Gesellschafterin würde Lady Marchmont kurzen Prozess machen.
Wie sich ein hübsches Mädchen mit solch entschlossener Miene – vom Rouge mal ganz abgesehen – in der einschüchternden und schroffen Atmosphäre in Glebe House zurechtfinden würde, das mochte er sich lieber nicht ausmalen. Er überlegte gerade, ob er
Weitere Kostenlose Bücher