Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
schlecht hab ich mich gefühlt, ich wusst doch, dass Mum das nicht wollte, dass sie fahren und wir uns nicht alle verabschieden. Und als ich ihr das erzählt hab, da ist Miss Frances gleich zum Telefon und ruft hier einen an und da einen an, obwohl Lady Marchmont sie anguckt wie ’n leibhaftiges Donnerwetter, bis dass sie ihre Adresse hat bei der Marine. Sie kriegt Blumen geschickt von Männern, und Pralinen – die gibt sie mir manchmal.«
Elsie schwieg einen Augenblick. Dann fuhr sie fort: »In dem Haus da, da gibt’s immer was zu polieren oder abzustauben oder wegzuräumen oder rauszuholen, ewig heißt es, scheuer dies und feg das aus und mach Feuer im Kamin oder polier den Feuerrost … und alles ganz ordentlich. Nie mach ich was richtig und die Haushälterin haut mir ständig eine runter.« Elsie rieb sich wieder die Wange.
Onkel hielt nichts davon, Frauen zu schlagen, und einen Moment lang verspürte Bernie eine maßlose Wut auf diese Haushälterin. »Kannst du denn nicht nach Hause fahren?«
Wieder stiegen Elsie die Tränen in die Augen. »Ist doch keiner mehr zu Hause, oder? Sind alle evakuiert, so sieht’s aus. Nach Yorkshire oder wie das heißt. Die Leute, wo sie untergekommen sind, waren wütend, weil Agnes und die Jungs nicht die Sachen mitgebracht haben, die sie mitbringen sollten, nur ihre Gasmasken. Und zuerst schneiden sie Agnes die Haare ab und rasieren den Jungs die Köpfe. Nissen, sagen sie. Und als Agnes in den Spiegel guckt, heult sie so los, dass sie husten muss und fast dran gestorben wär. Hat Mum mir geschrieben. Sie war wütend, dass sie sie nicht erst gefragt haben. Ist schließlich nicht weit weg, in der nächsten Stadt, mit Vi’let und Baby Jem. Agnes kann’s nicht ausstehen, da wo sie ist, aber sie sagen, es geht nicht anders. Die Leute, wo Mum untergebracht ist, denen gefällt’s nicht, wenn Mum die Küche benutzt und ihre Töpfe und Pfannen. Und sie und die Frau zanken sich, wer mit Aufräumen dran ist, und dann heult Vi’let los. Der Mann hat denen gesagt, sie sollen Mum woanders hinbringen.«
Angesichts dieser Vielzahl an häuslichen Problemen hatte Bernie ein wenig den Überblick verloren, doch er wollte sie trösten. »Du und ich, wir müssen zusammenhalten und Freunde sein. Hier, du sagst doch, du isst gern Schokolade. Ich hab noch Cadbury-Schokolade.« Elsies Miene hellte sich auf. Er holte einen verpackten Riegel aus der Tasche, brach ihn in zwei Teile und gab Elsie das größere Stück.
»Vielen Dank«, sagte sie und schloss die Augen, während sich der süße Schokoladenschmelz auf ihrer Zunge ausbreitete. Sie lächelte unwillkürlich.
Sieht sehr hübsch aus, wenn sie so lächelt, dachte Bernie. »Das ist schon besser«, meinte er und sah zu, wie sich über ihrer Oberlippe ein Schokoladenrand bildete. Er sah, wie ihre Zunge sich hervorstahl und ihn ableckte. Er überlegte, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er die Schokolade ablecken und sie dann sogar küssen würde, wie er es bei den Männern gesehen hatte, die die leichten Mädchen im Tanzlokal küssten. Der Gedanken durchfuhr ihn wie ein Schock. Er zog so heftig die Luft ein, dass sie zusammenzuckte.
Sofort öffnete sie die Augen. »Schokolade gehört zu meinen Lieblingssachen«, sagte sie. »Ist auf meiner Liste.«
»Deiner was?«
»Ich hab eine Liste mit Sachen, an die ich gern denk, beim Einschlafen. Schöne Sachen. Taschentücher mit Spitze dran. Steinpilze. Seidenstrümpfe.«
»Oh.« Er dachte einen Augenblick nach. »Sind auch Leute drauf?«
»Klar! Mum und Vi’let sowieso, aber jetzt sind auch die Jungs drauf und gestern hab ich beschlossen, dass sogar Agnes drauf ist.«
»Du wärst auf meiner Liste, wenn ich eine hätte«, sagte er und beugte sich näher zu ihr. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, den zarten Schokoladenrand auf ihrer Oberlippe mit dem Zeigefinger zu berühren.
Plötzlich wurde Elsie bewusst, dass der Junge komisch atmete. Ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht und dieses Gesicht war dem ihren jetzt sehr nahe. Schnell sprang sie von dem Steinsarg.»Himmel! Schon fast Zeit für ’n Tee. Muss rennen – muss den Tisch decken für ’n Tee, sonst krieg ich wieder ’ne Ohrfeige von Mrs. Gifford, weil ich zu spät dran bin. Ich wasch dein Taschentuch und geb’s dir wieder.«
Er wollte schon sagen, dass sie es ruhig behalten könne, doch gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass dies eine gute Gelegenheit wäre, sie wiederzusehen. »Danke. Treffen wir
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