Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
danach streckten sie sich auf den zerwühlten Laken aus. Evangeline hatte ihr schlankes Bein über Laurents Beine gelegt. Sie teilten sich einen Zahnputzbecher voll Cognac und eine Tafel Schokolade, die Laurent mitgebracht hatte. Laurent drehte ein paar Zigaretten, von denen er sagte, dass alle Musiker in Paris sie rauchten. Sie waren aus indischem Hanf. Sanft benebelt döste Evangeline in Laurents Armen ein. In dieser Nacht träumte sie nicht.
In den frühen Morgenstunden wurden sie durch die Stimmen später Nachtschwärmer und das Klappern von Geschirr geweckt, das aus einem nahen Restaurant im verdunkelten Soho erklang. »Ich muss gehen«, meinte Laurent und gähnte. »Die Typen von den Freien Franzosen warten im Pub auf mich. Sie haben Arbeit für mich, ich muss etwas für sie erledigen. Aber ich habe dir etwas mitgebracht, das will ich dir erst geben.« Ohne die Verdunkelungsvorhänge zuzuziehen, stand er auf. Der Umriss seines schlanken Körpers hob sich schwach vor dem abgedunkelten Fenster ab. Er reichte Evangeline ein flaches Paket und zwei Beutel.
Als Erstes öffnete sie die Beutel. »Was ist das?« Sie steckte die Hand in eine der Beutel und tastete, schnupperte, kostete. Sie spürte etwas Scharfes auf der Zunge. »Oh, Laurent, getrocknete Chilischoten! Wie köstlich! Das Essen in England ist so fad, dassich es kaum runterkriege.« Sie tauchte mit der Hand in die Tiefen der anderen Beutel. »Reis!« Wie lang hatte sie keinen Reis mehr gegessen! »Wo hast du diese Köstlichkeiten bekommen?«
»Von einer algerischen Freundin in Paris. Sie ist, ähm, mit einem Typ aus der Band verheiratet und kocht für uns alle. In Algerien verwenden sie Chilischoten so wie wir zu Hause, machen eine Soße daraus, die sie überall untermischen. Und bevor du das große Paket öffnest, möchte ich dir etwas Neues vorspielen.«
»Oh, gut!« Evangeline warf ihr Haar zurück, setzte sich auf und schlang die Laken um sich.
Er zwinkerte ihr zu. »
Evangeline’s Blues
hab ich das Stück genannt.« Ohne sich etwas überzuziehen, setzte er sich auf den Bettrand. Er spielte ein paar Tonleitern, glitt dann in einen langsamen Rhythmus. Zunächst war das Saxophon leise, schien die Töne nur sachte zu berühren und jeden einzelnen zu genießen, bevor es zum nächsten weiterglitt. Dann wurde es forscher; die Kraft und die Traurigkeit und die Süße der Musik wurden greifbar, bis der Klang den Raum erfüllte und die verstreut umherliegenden Kleider, die Vorhänge, das schmutzige Fenster, der zerschlissene Sessel, die fleckige Tapete, dieser Tag, an dem sie sich geliebt hatten, bis alles zu einem Teil der Musik wurde. Evangeline lächelte traurig, als sich die letzten Töne wie der Abschiedskuss eines Liebhabers in der Dunkelheit verloren. Sie wünschte, sie und Laurent könnten für immer in diesem Zimmer bleiben, wo niemand etwas über sie wusste und niemand sich um sie scherte.
Laurent zog die Verdunkelungsvorhänge zu und schaltete die billige Nachttischlampe an. »Mach das andere Geschenk auf.«
Evangeline riss das braune Packpapier auf. »Oh, Laurent! Deine Schallplatten! Zum Glück hat Penelope das Grammofon nicht mitgenommen, als sie nach London gezogen ist. Jetzt kann ich dich jeden Abend hören und mir vorstellen, dass du bei mir bist. Du klingst besser als Glenn Miller!«, rief sie.
»Ich wünschte, er wäre auch dieser Ansicht«, entgegnete er erfreut. »Ich würde alles darum geben, in seiner Band zu spielen. Dann würden die Leute zu Hause seine Platten kaufen und meinenNamen auf der Plattenhülle sehen. Und wüssten, dass ich nicht spurlos verschwunden bin.«
Evangeline ließ alle Vorsicht fahren. »Oh, Laurent,
bitte
nimm mich mit! Den Franzosen ist es egal, wer wir sind. Oder lass uns in ein anderes Land gehen – Schweden oder … oder … wohin ist mir egal. Irgendwo muss es doch einen Ort geben, an dem wir zusammen sein können. Ohne dich fühle ich mich nicht lebendig und ich warte und warte. Ich habe das Warten so satt!«
Er seufzte. »Hier bist du sicherer, Schatz, das habe ich dir doch schon gesagt. Das hat nichts mit uns zu tun, es ist wegen der Deutschen und wegen des Krieges. Es wird immer schlimmer, überall. Wenn der Krieg vorbei ist, dann können wir darüber nachdenken. Im Augenblick habe ich alle Hände voll damit zu tun, nicht unter die Räder zu kommen, ein bisschen Musik zu machen, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Du musst Geduld haben. Bleib, wo du bist, und warte auf mich. Bleib vorerst
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