Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
musste sie sich nicht vor dem Morgengrauen davonschleichen. Laurent meinte, niemand hier wisse schließlich, wer sie waren – dass er ein Farbiger und sie eine Weiße war oder dass sie nicht verheiratet waren. Sie mussten sich nicht verstecken. Danke, Gott, und bitte, bitte lassdie Kirchenglocken läuten, weil sie eben Kirchenglocken sind und nicht, weil ein Giftgasangriff oder die Invasion bevorsteht.
Im Dunkeln waren sie und Laurent gierig übereinander hergefallen und hatten noch nicht einmal die Verdunkelungsvorhänge zugezogen. Ihre hastig abgestreiften Kleider lagen in einem unordentlichen Haufen auf dem Boden, sein Hut und ihre beiden Gasmasken hatten sie achtlos auf die Kommode geworfen. Sein Saxophonkoffer lehnte in der Ecke, ihr Koffer stand ungeöffnet daneben. Sie streckte die Hand aus und steckte den Korken auf die Cognacflasche, die Laurent aus Paris mitgebracht hatte. Dann schmiegte sie sich wieder in seine Armbeuge und vergrub ihren Kopf an seiner Brust.
Nun hatten sie endlich Gelegenheit, über alles zu sprechen, über das Baby und über die Angst, die sie in New Orleans ausgestanden hatte, wie elend sie sich nach der Fehlgeburt gefühlt hatte, was passiert war, als Laurent in Marseille ankam. Wie ihr gemeinsames Leben aussehen würde, wenn sie zu ihm nach Frankreich kam. Instinktiv spürte sie jedoch, dass sie sich erst wieder daran gewöhnen mussten, zusammen zu sein. Sie waren so lang getrennt gewesen. Natürlich liebte Laurent sie immer noch so sehr wie sie ihn liebte, die vergangene Nacht war Beweis genug, doch nun konnten sie Pläne schmieden und die Vergangenheit wäre bald nur noch ein böser Traum. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie immer noch ihren Verlobungsring und den Ehering am Finger trug. Sie nahm sich vor, heute den Brief an Richard abzuschicken, zusammen mit den Ringen.
Doch nun … Sie schnupperte und setzte sich auf. Kaffee!
Laurents Arm zog sie an sich. Er rieb seine Nase an ihrem Hals.
»Laurent! Riechst du das?«
»Mmh – Schiaparelli?«
»Viel besser! Kaffee! Oh, Laurent, ich wette, das kommt aus dem italienischen Café ein Stück die Straße hinunter. Weißt du noch, wie es zu Hause war? Der Duft von geröstetem Kaffee war immer das Erste, was man morgens roch. Der Tee, den sie hier trinken, schmeckt wie Spülwasser. Manchmal würde ich sonst was füreine Tasse kreolischen Kaffee geben! Und für Krapfen zum Tunken! Ich habe gerade geträumt …«
»Vom Frühstück?« Er gähnte.
»Hm, so ähnlich. In meinem Traum hat Inez es zubereitet.«
Er rollte sich lachend auf den Rücken und streichelte ihren flachen Bauch. »Du warst immer schon ganz schön gierig!«
Unter seiner Berührung räkelte sie sich wohlig. »Mmm, du aber auch. Weißt du noch, wie wir so viele Krapfen gegessen haben, dass uns schlecht wurde? Einmal hast du neunzehn Stück gegessen. Du bist viel gieriger als ich.«
Laurent verschränkte die Hände hinter dem Kopf und dachte nach. »Ja, Inez, die konnte wirklich kochen. Waffeln. Und Pain Perdu. Mit Boudin-Wurst. Und dazu Grits.«
»Talmousses mit Frischkäse.«
Er legte den Arm um sie und machte es sich auf dem Kissen bequem. »Beaten Biscuits mit Schinken. Die hab ich auch immer gemocht.«
»Und diese knubbeligen Brötchen, zu denen sie immer Ochsenfrösche gesagt haben.«
»Grenouilles?«
»Ja, die meine ich. Philippe hat uns gesagt, wir müssten an der Seite ein Loch machen, weil innen drin angeblich ein lebendiger Frosch saß. Und der würde uns in den Hals springen, wenn wir ihn nicht herausließen. Inez ist immer so böse geworden, wenn sie gesehen hat, was wir mit ihren Brötchen anstellten. ›Was ist los mit euch? Was stochert ihr mit den Fingern in meinen guten Brötchen rum?‹, hat sie geschimpft.« Evangelines Lächeln verschwand. »Hier in England ist das Essen furchtbar. Ich vermisse Inez’ Kochkünste, du auch?«
»Ich hab’s ziemlich gut in Frankreich.« Laurent verschränkte seine Finger mit Evangelines. Die Familienähnlichkeit in den beiden Gesichtern war unverkennbar, ebenso in ihrer Statur, selbst ihre Hände ähnelten sich, ihre Zeigefinger waren ungewöhnlich lang. Evangeline hatte blasse Haut, ihr Haar war dunkel und ergoss sich über ihre Schultern. Laurents Haar hatte die Farbe von hellem Kupfer, es warkurz geschnitten und lockig. Seine Hand war kräftig und feinfühlig. Die Hände eines Musikers. Die Hände eines Liebhabers.
Er spielte gedankenverloren mit Evangelines großem Ring mit dem Diamanten
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