Fünf Freunde und das Burgverlies
werde Herrn Durleston noch die Kapelle zeigen«, sagte Herr Henning, als sie wieder unten waren. Frau Priller nickte und eilte in die Küche zurück. Die fünf Freunde folgten den beiden Männern, da sie ja die Kapelle auch noch nicht kannten.
Es war ein sonderbarer alter Bau. Schmale, schon geschwungene Fenster unterbrachen hoch oben die Mauer in regelmäßigen Abständen. Stufen führten zum Tor hinauf. Innen standen Säcke voll Getreide und Kunstdünger in langen Reihen neben- und übereinander. Eine Katze bewachte auf einem der Säcke ihre drei neugeborenen Jungen, eine Taube gurrte irgendwo hoch oben im gewölbten Dach. Es war ein Ort voll Stille und Frieden.
»Wie verzaubert«, sagte Anne. Unwillkürlich sprach sie leise. »Jetzt weiß ich, was Herr Funstein meinte, als er sagte, dass es noch immer eine heilige Stätte ist. Man kann richtig fühlen, dass die Leute hier früher gebetet haben, nicht?«
Sie standen und schauten. Es war ganz still, bis Herr Durleston diese Stille unterbrach.
»Unten im Dorf erzählte man mir, dass die Burgherrin Philippa hier in dieser Kapelle ihre 15 Kinder das Beten lehrte. Hmm. Hmm - schöne alte Sage. Vielleicht auch wahr. Kapellen wurden oft bei Burgen errichtet. Alles weg nun, keine Burg, nichts. Hmm, hm.«
»Ich würde diese Kapelle am liebsten kaufen, sie abreißen und in den Staaten auf meinem Grundstück wieder aufbauen lassen«, sagte Herr Henning voll Begeisterung. »Herrlicher Bau, nicht? Sähe wundervoll aus in meinem Garten.«
»Ich würde es Ihnen nicht raten«, antwortete Herr Durleston. »Ist kein reiner Stil. Kommen Sie - gehen wir in den Schuppen hinüber, vielleicht ist dort noch etwas zu finden.«
Sie gingen hinaus, die Kinder folgten nach einer Weile schweigend.
»Und so etwas will Herr Henning nun kaufen und abreißen lassen! Zu seinem privaten Vergnügen! Unerhört!« entrüstete sich Anne, als sie draußen waren. »Ein Glück, dass Herr Durleston ihm davon abgeraten hat.«
»Du bist ja richtig böse, Anne! Fast wie Urgroßvater!« Julian blickte seine Schwester erstaunt an. »Aber beruhige dich - ich kann mir nicht vorstellen, dass die Prillers diese Kapelle jemals verkaufen, auch nicht für eine Million.«
»Ich finde Amerikaner sonst sehr nett«, sagte Anne. »Aber nicht Herrn Henning. Er - er will Geschichte kaufen wie Schokolade oder Kaffee.« Alle lachten, doch Anne war es bitter ernst.
»Jetzt hätten wir eigentlich Zeit, den Burgplatz zu suchen«, meinte Julian dann. »Woran wir dabei denken müssen, das wissen wir ja: Anhöhe und passender Abstand zu der Kapelle.«
»Ja«, nickte Dick. »Das Dumme ist, dass es hier fast nur Anhöhen gibt.«
»Kommt, wir fangen einfach dort am nächsten Abhang an«, schlug Georg vor. »Dort vorne sind übrigens die Zwillinge. Wir wollen ihnen zurufen, vielleicht kommen sie mit.«
Natürlich waren die beiden mit Begeisterung dabei. Und so machten sich sechs Kinder, zwei Hunde und eine Dohle am nächsten Hang auf die Suche nach dem Platz, auf dem einmal eine Burg gestanden hat.
Doch da war nichts, nichts außer Gras, Gras und noch einmal Gras. An einem großen Erdhaufen machten sie halt.
»Das muss ja ein Riesenmaulwurf gewesen sein«, sagte Dick und brachte damit alle zum Lachen, denn der Erdhaufen reichte ihnen bis zu den Schultern. Unten an dem Haufen war ein Loch, vermutlich der Eingang zu einem Kaninchenbau, der jedoch sicher unbewohnt war, da im Frühjahr eine Seuche die Kaninchen in dieser Gegend fast völlig ausgerottet hatte. Trotzdem begann Tim zu scharren. Er untersuchte grundsätzlich jeden Kaninchenbau. Bald flog unter seinen und Schnippis Pfoten die Erde nach allen Seiten. Der kleine Schnippi konnte in den Gang hineinkriechen, und als er wieder einmal von einem solchen kurzen Ausflug zurückkam, hatte er eine Muschelschale im Maul.
»Seht euch das an - eine Muschelschale!« rief Julian und nahm sie dem Hund ab. »Und das meilenweit vom Meer entfernt. Wie kommt die nur hierher? Such, Schnippi! Weiter, Tim! Schnell! Mir dämmert etwas.«
Die beiden Hunde verdoppelten ihren Eifer, und schon nach einer kleinen Weile lag eine ganze Sammlung von Muschelschalen und großen und kleinen Knochen im Gras.
»Knochen!« Anne rümpfte die Nase. »Doch keine Menschenknochen! Sagt bloß nicht, dass unter dem Erdhaufen ein Grab ist, Ju!«
»Nein, nein«, beruhigte sie Julian. »Aber aufregend ist es. Ich glaube, es ist eine alte Küchengrube.«
»Eine Küchengrube? Was ist denn das nun wieder?«
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