Fünf Kopeken
leicht nur holt sie aus, er kann höchstens ein paar Zentimeter hinter ihr stehen, so schnell stoßen ihre Fingerknöchel gegen sein Hosenbein.
Und sausen sofort wieder zurück, wie ein Tennisball, der vom Boden zurückdopst.
Die Dogge hebt den Kopf, schnappt, wahrscheinlich aus purem Überdruss, nach dem Ärmel ihres Herrchens, zieht daran, springt an ihm hoch. Der Kerl schubst sie so brüsk von sich, dass sie in die Büsche fällt. Die Zweige knacken, während sie sich aufrappelt, aber sie dreht sich nicht mal um. Als sei es ein Spiel, nimmt sie wieder Anlauf und rennt auf ihn zu.
Meine Mutter holt wieder aus, berührt erneut sein Bein, weiß sie da schon, dass es sein Bein ist? Hat sie ihn doch gesehen, so kurz, dass es nur ihr Unterbewusstsein gemerkt hat? Sie verharrt, wartet, ob der Gegendruck stärker wird. Vor Anspannung beginnt ihre Schulter zu zittern. Was machst du denn da, du kannst doch nicht, lass das sein, denkt sie. Und drückt doch den Arm durch.
Sie öffnet die Faust. Spürt den kalten, glatten Stoff. Spürt ihre eigene Haut daran, so deutlich, als würde jemand mit dem Messer daran entlangfahren. Das Blut beginnt in ihren Fingern zu kribbeln, als habe es nur einen Widerstand gebraucht, um sie wieder zu fühlen.
Der Krankenwagen drängt sich an den Straßenrand.
Sie schiebt die Hand nach oben, den Oberschenkel entlang. Als würde sie Mehl auf einer Arbeitsfläche verteilen, lässt sie den Handballen in kleinen Kreisen weiterwandern, den Blick stur auf die Gleise gerichtet, als habe sie überhaupt nichts mit dem zu tun, was da hinter ihrem Rücken passiert, als würde es sie brennend interessieren, wie die Rettungshelfer auf die Gleise gerannt kommen, eine Trage zwischen den Armen.
Die Dogge springt um den Kerl herum, schlägt mit den Vorderläufen gegen die Bomberjacke.
Das Blaulicht huscht über die Reihen. »Wir wollen Ihnen doch nur helfen!«, hört sie einen der Sanitäter.
Sie schließt die Augen, versucht die Hand stillzuhalten. Wartet auf eine Regung, ein Zeichen von ihm, bis sie es endlich nicht mehr aushält und die Finger auf den Reißverschluss schiebt.
Der andere Sanitäter redet auf den Fahrer ein, während die Dogge immer weiter hochspringt. Der Kerl stößt sie weg, ohne sie anzusehen, aber das Ignoriertwerden scheint sie nur noch anzuspornen. Wie ein Bumerang fliegt sie zurück und lässt sich noch härter auf den Boden schmettern. Ihre Hinterläufe rutschen den Hang hinab.
Meine Mutter verlagert ihr Gewicht auf das andere Bein, schiebt den Po an seinen Oberschenkel. Ihr Daumen streicht langsam auf und ab, zieht den Zeigefinger hinter sich her.
Die Dogge beginnt zu bellen, rast zurück, springt erneut den Kerl an, der sie immer wieder und immer heftiger wegstößt. Erst als sie den Kopf so zu schütteln beginnt, dass die Kindersandale zwischen ihren Zähnen gegen seine Jacke knallt, fährt der Kerl plötzlich herum.
Wild schreiend grapscht er nach der Sohle, aber die Dogge windet sich unter seiner Hand weg. Der Sabber läuft über den Lederriemen, während sie wartet, bis er gleichauf ist. Dann rast sie wieder los, der Kerl ihr hinterher. Wie eine Kellerassel, von der man einen Stein gezogen hat, läuft er im Scheinwerferkegel umher, versucht ein ums andere Mal ihre Hinterläufe zu fassen zu kriegen, wirft sich endlich auf sie. Er packt die Kette und lässt sie auf ihren Kopf sausen. Die Dogge heult auf.
»Aufhören!«, schreit die junge Frau. Aber der Kerl ist nicht zu bremsen. In blinder Wut reißt er der Dogge die Sandale aus dem Maul und schlägt ihr mit der Faust in den Bauch. Die Beine strampeln gegen die Bomberjacke, während er erneut mit der Kette ausholt. Die Frau schaut sich verzweifelt um. Von hinten kommt der Sanitäter angelaufen, aber an der Kette traut auch er sich nicht vorbei. Wie erstarrt stehen die beiden da und schauen zu, wie der Kerl mechanisch auf das Tier eindrischt. Immer wieder stößt sein Ellenbogen nach hinten, als bediene er eine Pumpe. Es dauert eine Weile, bis meine Mutter merkt, dass ihre Hand im gleichen Rhythmus auf und ab reibt.
Sie lässt nicht nach, spürt den Druck an ihren Fingern.
Und dann löst sich der Reißverschluss auf einmal aus ihrer Hand.
Sein Arm streift ihre Schulter. Sie sieht den Rücken, der sich vor ihr durch die Reihen drängt, die schwarzen Schuhe und dann ihre eigenen, die ihm folgen, hinter ihm her zum Bahnübergang laufen, die Wimpel auf den Gleisen zertreten. Sie wird schneller, weicht Armen, Tüten,
Weitere Kostenlose Bücher