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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Menschentraube.
    Meine Mutter stützt sich ein Stück auf, aber in dem Moment fliegt die Tür neben ihrem Kopf auf. Blaue Beine stolpern über sie hinweg. Der Fahrer murmelt Unverständliches, während er sich durch die Menge nach draußen drängt. Ein paar Leute springen hinter ihm her auf die Gleise, Schotter knirscht unter ihren Füßen.
    »Ist Ihnen was passiert?«, ruft der Mann, als hinge ihre Antwort von der richtigen Formulierung der Frage ab.
    Meine Mutter zieht die Beine unter den Körper, richtet sich ganz auf. Erst als sie sich an der Wand anlehnen will, merkt sie, dass schon die ganze Zeit die Hand des Mannes auf ihrem Rücken liegt.
    Von draußen hört man einen spitzen Schrei.
    »Alles in Ordnung«, sagt sie, aber auch das scheint den Mann nicht zu befriedigen.
    »Tut Ihnen was weh?«, ruft er wieder. Meine Mutter sieht, wie er seine Hand auf ihre Schulter schiebt, an ihrem Arm hinabfahren lässt.
    »Nein, nein«, sagt sie.
    Und tatsächlich spürt sie keinerlei Schmerz. Sie spürt gar nichts. Nicht die Wand, an der sie lehnt. Nicht den Druck um ihr Handgelenk. Nicht die blutige Stelle am Ellenbogen, die der Mann plötzlich findet und dabei zischend die Luft durch die Zähne zieht.
    »Nur ein Kratzer«, sagt sie schnell und entwindet ihm den Arm.
    Der Fahrer kommt zurück. »Lassen Sie mich doch durch!«, ruft er verzweifelt, dabei fahren die Passagiere ohnehin schon auseinander. Meine Mutter drückt sich ins Eck. Der Mann kommt hinter ihr her gekrochen.
    »Von der Tür weg!«, schreit der Fahrer über seine Schulter zum Ausgang, während er an den beiden vorbei in sein Häuschen läuft. Die Mütze auf seinem Kopf rutscht ihm ins Gesicht.
    »Weg!«, ruft er noch mal, »alle weg!« Ein schriller Ton erklingt. Dann ruckt die Bahn zurück. Die Achsen stöhnen auf. Meine Mutter sieht das Cola-Rinnsal, das sich an ihrem Po entlangschlängelt, in den Gang fließt, dann zurück auf sie zu, während die Räder erneut kreischend zum Stehen kommen.
    Die Passagiere drehen die Hälse, während der Fahrer wieder nach draußen rennt. Diesmal laufen sie ihm gleich scharenweise hinterher. Die Traube um meine Mutter sieht immer abgenagter aus. Selbst der Mann scheint ein wenig das Interesse an ihr zu verlieren.
    »Geht’s Ihnen auch wirklich gut?«, fragt er noch mal, aber seine Augen huschen schon zum Ausgang.
    »Ja, ja«, sagt meine Mutter. Sie greift nach ihrem Unterschenkel und zieht ihn mit beiden Händen zu sich heran.
    »Nicht aufstehen!«, ruft eine Frau hinter dem Mann. »Was, wenn was gebrochen ist? Beim Meiser sagen sie immer, dass man sich nicht bewegen soll, bis der Rettungswagen kommt!« Sie dreht sich um und sucht nach Zustimmung, aber die verbliebenen Passagiere drängen jetzt alle nach draußen.
    »Keine Sorge«, sagt meine Mutter und drückt wieder die Finger auf den Boden.
    »Nein, nein, nicht, dass Sie am Ende querschnittsgelähmt sind«, ruft die Frau und stellt sich ihr in den Weg.
    Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Mir geht’s gut«, sagt sie, und als das noch immer nicht hilft, »ich bin Ärztin«, auch wenn das ja nun noch nicht ganz stimmt, »glauben Sie mir, alles in Ordnung.«
    »Achso, sagen Sie das doch gleich«, sagt die Frau beleidigt und tritt zur Seite, während meine Mutter endlich aufsteht.
    »Sicher?«, fragt der Mann, der wohl selbst den Überblick über seine Fragen verloren hat. Er schafft es kaum noch, einen Augenblick vom Ausgang wegzusehen.
    »Sicher«, sagt meine Mutter und tut ihm den Gefallen, auch einen Schritt zur Tür zu machen, sodass er ihr endlich auf den Arm tätschelt, »na dann, alles Gute« murmelt und hinter den anderen ins Freie rennt.
    Der Wagen ist jetzt fast leer. Die letzten Fahrgäste laufen an ihr vorbei, sehen sie unsicher an, als seien sie ohne Ticket unterwegs und meine Mutter die Kontrolleurin, nur dass sie ja nicht in die Bahn, sondern aus ihr heraus wollen.
    Sie senkt den Kopf, wischt sich über den Mantel, sieht plötzlich den Schlüpfer, der unter dem Bund hervorgerutscht ist. Sie reißt die Hose meines Großvaters nach oben, schaut sich nervös um, während sie die Bluse darüberstreicht.
    Wieder hört sie einen Schrei, aber diesmal will er nicht abbrechen, sondern zieht sich gellend immer weiter in die Länge.
    Meine Mutter wischt sich die Haare aus dem Gesicht und steigt endlich selbst aus, läuft hinter den anderen her, die sich den schmalen Streifen neben den Rädern entlangdrücken. Die Laterne an der Kreuzung schafft es nicht ganz bis

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