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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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hält eine Strickweste in die Luft.
    Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Mir ist nicht kalt.«
    »Papperlapapp, gleich wird’s dunkel. Dann frierst du!«, ruft meine Großmutter und drückt die Arme meiner Mutter in die Ärmel.
    »Was ist das denn?« Mit drei Schritten steht mein Großvater neben ihnen und schiebt meiner Mutter die Hand in den Nacken. » Made in China? «, ruft er und zieht das Etikett so weit nach oben, dass ihr der oberste Knopf in den Kehlkopf schneidet, »was macht denn bitte so was in meinem Haus?«
    Meine Großmutter zuckt die Schultern. »Ich glaub, die hat die Ilse mal geschickt.«
    Mein Großvater stößt einen verächtlichen Ton aus. »100 Prozent Acryl, das kratzt doch wie ’d Sau.«
    »Unsinn, das kratzt überhaupt nicht«, ruft meine Großmutter.
    »Ich muss los.« Meine Mutter dreht den Kopf, versucht sich aus dem Griff meines Großvaters zu befreien. Aber schon langt ihr auf der anderen Seite meine Großmutter in den Hosenbund und stopft die verrutschte Bluse in den Schlüpfer. Wie zwei Kinder, die sich um eine Puppe streiten, ziehen sie meine Mutter zwischen sich hin und her, bis die sich endlich fast gewaltsam losreißt, ihren Mantel vom Kleiderständer zieht und irgendeine Entschuldigung murmelnd ins Treppenhaus schlüpft.
    »Was ist denn jetzt mit dem Streuselkuchen für’n Arno? Hat ihm der’s letzte Mal nicht geschmeckt?«, hört sie meine Großmutter noch rufen, während sie die Stufen hinabsteigt, gefolgt von dem mindestens doppelt so lauten »Herrgott Hilde, rufste ihn am besten selbst an!« meines Großvaters.
    Dann fällt endlich die Tür hinter ihr ins Schloss.
    Sie tritt auf die Straße hinaus, auf der es langsam dunkel wird. Geht den Bordstein entlang. Versucht den Bund noch weiter umzuschlagen, aber die Wulst lässt sich kaum noch drehen. Der Saum der Großvaterhosen ritscht und ratscht und ritscht und ratscht über den Asphalt, wie ein zweites Paar Schritte, das ihren eigenen folgt.
    Sie beginnt zu laufen, immer schneller, bis sich ihre Schritte dem rasenden Herzschlag angepasst haben, durchsucht ihr Hirn nach einer Erklärung für das Chaos in sich und findet doch auch im hintersten Winkel nichts anderes als Beschimpfungen, reiß dich zusammen, was ist denn los mit dir?, hör endlich auf mit dem Scheiß!
    Sie rennt zur Haltestelle, an der glücklicherweise auch schon eine Tram steht. Sie steigt ein, drückt sich zwischen den Menschen durch. Sie setzt sich, sieht die Beine vor sich, die Absätze, die zwischen den anderen Schuhen trippelnd nach Halt suchen. Immer wieder rutscht ihr die Tasche weg, während die Tram sich in die Kurve legt, hält und anfährt und wieder hält. Irgendjemand drückt die schon piepsenden Türen auf, stemmt ein Bein dazwischen. Aus dem Lautsprecher tönt die ungeduldige Stimme des Fahrers, aber das fällt ihr wohl erst später auf, oder vielleicht besser ein, Stunden, vielleicht sogar Tage später, als sie im Bett liegt und verzweifelt versucht, sich das alles so genau wie möglich ins Gedächtnis zu rufen, als würde sich ihr, wenn sie das Davor und Danach so sorgfältig freirubbelt, dass kein noch so kleines Fitzelchen Grau übrig bleibt, am Ende auch das Stück dazwischen erschließen. Aber zum wirklichen Erinnern wird ihr auch da der Mut fehlen. Alles, was sie schafft, ist, logisch zu kombinieren. Sie kann nur rekonstruieren, dass es ziemlich voll gewesen sein muss, warum sonst hätte sie auf dem schmalen Vorsprung unter den Stühlen gesessen? Dass wohl viele Leute ein- und ausgestiegen sind. Dass es ziemlich lange gedauert haben muss, bis die Bahn sich endlich wieder in Bewegung setzte, sodass meiner Mutter das Piepen noch in den Ohren hallt, als sie plötzlich nach vorne geworfen wird.
    Sie fällt in den Gang, rutscht bäuchlings an den Sitzreihen entlang, Füße kratzen an ihrer Seite vorbei, bis sie endlich gegen das Fahrerhäuschen knallt.
    Die Räder quietschen. Es kracht und krächzt und ächzt. Das Gesicht meiner Mutter wird gegen die Wand gedrückt. Dann bleibt die Bahn stehen.
    Eine Dose schlägt scheppernd neben ihr ins Eck.
    »Sind Sie verletzt?«, schreit ein Mann und lässt sich vor meiner Mutter auf die Knie fallen, biegt den Kopf zu ihr nach unten.
    Meine Mutter winkt ab, was, so auf dem Bauch liegend, gar nicht so leicht sein kann, aber der Mann scheint nicht sonderlich beeindruckt.
    »Geht’s Ihnen gut?«, schreit er noch mal und legt sich fast neben sie auf den Boden. Hinter ihm sammelt sich eine

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