Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
Vom Netzwerk:
es sei eine gute Idee, noch mal hier hochzukommen? Was hat sie denn erwartet? Dass sie ihr Verhalten einfach ungeschehen machen könne? Gut, gestern wollt ich dir noch die Polizei auf den Hals hetzen, aber jetzt ist alles wieder in Butter?
    Hast du etwa gedacht, dass er sich freut, dich zu sehen? Dass ihr da weitermachen würdet, wo ihr aufgehört habt? Wo soll das denn bitte sein? Es hat doch nie einen Anfang gegeben! Was tust du überhaupt noch hier? Du kannst dich doch nicht einfach in seine Wohnung drängen, wie eine Geisteskranke? Mach, dass du nach Hause kommst! Na los!
    Sie steht auf, streicht sich die Weste glatt, stößt vor Nervosität gegen die Wodkaflasche, die offenbar doch noch nicht ganz leer war. Unter ihren Füßen bildet sich eine dunkle Lache.
    Sie hebt den aufgeweichten Gorbatschow auf und stellt ihn auf den Tisch, der, wie sie jetzt sieht, doch nur ein umgedrehter Wäschekorb ist.
    Alex schaut auf. Seine Erleichterung ist nicht zu übersehen.
    »Kann ich mal auf die Toilette?«, hört sie sich fragen.
    Er holt tief Luft. »Ähä.«
    Sie läuft den Flur zurück ins Bad, wirft die Tür hinter sich zu. Lässt sich auf den Klodeckel fallen. Ihr Blick rast über die Fliesen, immer acht gelbe, die sich wie Blütenblätter um eine braune gruppieren, bis das Muster kurz vor der Wanne abbricht, wen interessiert’s, konzentrier dich, was machst du denn hier, so kann man sich doch nicht aufführen, spinnst du jetzt total? Sie atmet ein, presst die Hände in den Bauch, atmet aus.
    Ein Telefon klingelt.
    Sie hört ihn Russisch sprechen. Zumindest glaubt sie, dass er es ist, auch wenn er überhaupt nicht mehr wie er selbst klingt, wenigstens nicht wie die träge, verschlafene Version von ihm, der sie gerade noch gegenübergesessen hat. Er lacht sogar, so richtig mit Stimme und allem Drum und Dran.
    Die Galle schwappt ihr in den Mund. Sie stürzt zum Waschbecken, hält den Kopf darüber. Aber nichts kommt. Die Hand um den Hals gepresst, starrt sie auf den verkalkten Hahn, den braunen Rand, der sich um den Ausfluss zieht, sieht die Zahnpastareste am Beckenrand.
    Aus dem Wohnzimmer hört sie wieder sein Lachen, diesmal von Pausen unterbrochen, in denen offenbar der Anrufer redet.
    Sie denkt an die Stimmen vor ein paar Tagen im Hof, versucht sich zu erinnern, ob er damals schon so gelacht hat, so, als würde der Ton direkt aus seiner Lunge kommen, tief und voll, als spare er sich einfach den Umweg durch den Mund, fragt sich, ob das vielleicht doch eher Dima war, während sie verstohlen den weiß-grünen Rest Zahnpasta berührt. Ihr Zeigefinger gleitet die Beckenkurve hinab. Sie kratzt über die Keramikoberfläche, betrachtet die winzigen Stückchen, der sich unter ihrem Nagel sammeln. Ganz leicht nur fährt sie mit der Zunge darüber.
    Das Lachen überschlägt sich.
    Meine Mutter reißt den Arm zurück.
    Sie dreht den Hahn auf, hält den Finger darunter, bohrt den Nagel fast in die Mündung. Sie wäscht sich den Mund ab und aus, trocknet sich die Hände ab, wäscht sie, als sie merkt, wie furchtbar das Handtuch stinkt, noch mal. Und sieht plötzlich ihr feuerrotes Gesicht im Spiegel.
    Sie berührt die Nase, die geradezu grotesk nach vorne sticht, klemmt den Knorpel mit der Faust ab. Ihre Finger wandern nach oben, als würden sie eine Tonbüste modellieren, schieben die lose Haut auf dem Knochen umher, als könnten sie sich nicht ganz entscheiden, wie und ob das Werk noch zu retten ist, fahren endlich auseinander und bohren sich rechts und links unter die Oberlippe. Wie eine Zange spreizen sie den Mund. Die Schneidezähne kommen zum Vorschein. Über dem breiten Clownsgrinsen staut sich das Blut.
    Meine Mutter fährt herum. Sie reißt die Tür auf, stolpert in den Flur, läuft zurück ins Wohnzimmer.
    Das Lachen ebbt ab.
    Seine Hand fährt über die Muschel, als erzähle er dem Anrufer gerade ein unglaublich geheimes Geheimnis, das sie nicht hören darf, dabei versteht sie ja ohnehin kein Wort. Die Ringelschwanzschlaufen des Telefonkabels legen sich um seine Finger, während er den Hörer zwischen Schulter und Kinn einkeilt.
    Unschlüssig geht sie zur Kommode und sieht sich die Babuschkas an, betrachtet das Rosenmuster auf den Holzkörpern, das bei jeder der vergnügt lächelnden Großmütter ein paar Blüten verliert, bis auf dem Bauch der Kleinsten so wenig Platz ist, dass der Strauß vom Anfang nur noch aus einer einzigen Rose besteht. Daneben reihen sich weitere Figürchen auf, die meisten offenbar aus einem

Weitere Kostenlose Bücher