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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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die zu ihr nach draußen dringen, dem Gluckern der Rohre, dem Rauschen des Wassers, jetzt aber wohl aus dem Hahn. Ihre Finger beginnen zu kribbeln, dann macht sie schnell einen Schritt über die Schwelle und läuft den Flur entlang, zur Tür, sieht ihn durch den offenen Spalt vorm Waschbecken stehen, nach vorne gebeugt, sodass zwischen dem Hosenbund und der Jacke ein Streifen Rücken aufblitzt. Sein Mund hängt unter dem Hahn. Über der Wanne fährt das blaue Flämmchen der Gastherme hoch.
    Vorsichtig, gerade so, als wolle sie ihre Bewegungen vor sich selbst verbergen, schiebt sie sich an die Wand heran und betrachtet die weiße Haut, auf der drei, nein vier dicke, schwarze Leberflecke sitzen, wie Lakritzschnecken, einer davon vielleicht eher braun, dafür mindestens dreimal so groß wie die anderen. Sie sieht die Rückenwirbel, die sich messerzackenspitz nach außen drücken, während er laut gurgelt, sich noch weiter nach vorne beugt, ausspuckt.
    Der wütende Mann kreischt noch lauter.
    Alex’ Hände klatschen auf die Wangen. Das Jackenbündchen rutscht nach unten, während er sich aufrichtet und sein nasses Gesicht in den Spiegel springt. Sie folgt den Tropfen, die von seiner Stirn in die Augenhöhlen rinnen, an der Nase entlanglaufen, zum Mund hinunter, bis sie schließlich vom Kinn aus ins Becken fallen. Erst als sich seine feucht glitzernden Brauen zusammenziehen, merkt sie, dass auch er sie sieht. Sein Blick bohrt sich in sie, während er mit der Ferse der Tür einen Tritt versetzt.
    Sie weicht zurück, drückt die Hand auf die Brust, was ist denn los mit dir reiß dich gefälligst zusammen reißen sollst du machst doch alles nur noch schlimmer, sie schnappt nach Luft, Schritte nähern sich, die Klinke rast auf sie zu oder sie auf die Klinke, sie wischt sich die Haare hinter die Ohren, sieht schon, dass sich das Schlüsselloch verdunkelt, was, wenn man bedenkt, wie klein so ein Loch ist, mal wieder ein bisschen unglaubwürdig klingt, andererseits hat meine Mutter natürlich in den letzten Tagen mehr Zeit damit verbracht, auf und durch winzigkleine Gucklöcher zu starren, als ich in meinem ganzen Leben, also stimmt es vielleicht doch, vielleicht kann sie durch all das Training tatsächlich erkennen, dass sich etwas vor die Öffnung schiebt, vielleicht steht er wirklich schon hinter der Tür, aber das ändert auch nichts, denn öffnen, öffnen tut er nicht.
    Sie presst die Hand auf den Mund, beißt die Zähne aufeinander, aber nicht der kleinste Mucks dringt durch die Tür, als habe er sich in Luft aufgelöst.
    Vielleicht kommt er ja gar nicht mehr raus, schießt es ihr durch den Kopf. Vielleicht bleibt er im Bad, bis ich wieder gehe. Vielleicht ist ihm meine Anwesenheit so unangenehm, dass er lieber den ganzen Tag auf der Toilette verbringt, als zu mir herauszukommen. Ihr Blick fährt an der Tür entlang, an den Scharnieren hoch ins linke Eck, rüber ins rechte, vertikal nach unten und wieder nach links. Ihr Kopf folgt den Bewegungen ihrer Augen, als würde sie die Umrisse nachzeichnen. Bis die Klinke plötzlich doch nach unten gedrückt wird.
    Den Kopf gesenkt, die Hand vor der Stirn, wie ein Angeklagter vorm Gerichtssaal, erscheint er in der Tür. Er macht einen Schritt in den Flur, bleibt dann aber doch ein paar Meter von ihr entfernt stehen, was gar nicht so leicht ist, wenn man bedenkt, dass der Flur gar keine paar Meter breit ist. Ein Räuspern zwängt sich seinen Hals nach oben. Er öffnet den Mund, aber statt irgendwelcher Worte kommt wieder nur ein Gähnen heraus, wenn auch jetzt schon ein bisschen halbherzig. Aber um meine Mutter sich richtig schlecht fühlen zu lassen, reicht es noch.
    »Tut mir wirklich leid«, sagt sie, obwohl ihr nicht mal selbst ganz klar ist, ob sie damit die Sache von gestern oder die Sache von eben meint. Oder die Sache von gerade jetzt. Dass sie noch immer da ist. Dass sie nicht einfach abhaut.
    Er nickt. Aber es kann auch sein, dass er einfach den Kopf nicht mehr oben halten kann. Das bloße Stehen scheint ihn bereits zu erschöpfen. Zumindest fallen ihm fast die Augen zu.
    »Ich hab ja auch eigentlich gar nix dagegen, wenn es mal laut ist«, fährt sie zappelig fort, »ist wirklich nur wegen der Schule.«
    Er hebt wieder die Hand und reibt sich über die Lider. »An einem Sonntag?«, fragt er durch das Fingernetz vor seinem Gesicht.
    »Ist eine Privatschule!«, ruft sie, »da, äh, da haben sie auch sonntags Unterricht.«
    Er lässt die Hand sinken. »Ah«, sagt er und

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