Fünf Kopeken
auch er. Er schiebt sie von sich, geht zum nächsten Tisch.
Meine Mutter läuft ihm nach. »Du hast doch gesagt, es wär so viel los«, sagt sie und streicht sich die Haare hinter die Ohren.
»War ja auch.« Er reißt das Tischtuch nach oben.
Meine Mutter schaut sich um. »Wo sind die denn alle so schnell hin?«
Wieder huscht dieses spitzbübische Lächeln über sein Gesicht. »Das ist fast drei Stunden her.«
Meine Mutter reibt sich über die Stirn. »Aber warum kochen die denn dann noch so viel?«
»Das ist für uns«, antwortet er und knäult den Stoff zusammen, »wir müssen ja auch irgendwann was essen.« Er geht zur Bar, die vielleicht doch keine Bar ist, warum sollten sie denn sonst die Getränke den ganzen Weg aus der Küche holen, holt auf jeden Fall einen Packen sauberer Tischtücher von da. Er faltet eines auseinander, dreht sich plötzlich um.
Das alte Mädchen steht in der Tür. »Sascha!«, ruft sie. Er macht eine abweisende Handbewegung, breitet das Tischtuch aus.
Meine Mutter zupft die Ecken gerade. »Wie viele Namen hast du eigentlich?«
»Keine Ahnung.« Er legt den Kopf in den Nacken, scheint tatsächlich einen Moment über die Frage nachzudenken. »Meine Mutter hat mich Aljoscha genannt, mein Opa Senderl , die meisten Freunde sagen Sascha oder Schura , manchmal Sanja , Sanjok , Saschok , Sanjetschka «, er zuckt die Schultern, »ich bin für jeden ein anderer.«
» Alex hast du vergessen«, sagt meine Mutter.
Er schüttelt den Kopf. »Nein, Alex nennt mich niemand.« Er fährt über das Tischtuch, streicht eine Falte von der Mitte aus auf die Kante zu, sodass es aussieht, als würden seine Finger eine Welle vor sich hertreiben. »Also, die Deutschen halt«, schiebt er hinterher, als stünde das zu der vorherigen Aussage aber auch nicht wirklich im Widerspruch.
Meine Mutter presst den Daumen um die restlichen Finger, fragt sich mal wieder, ob er sie ganz bewusst beleidigt oder ob er diese Kränkung einfach so absondert, wie Schweiß oder Hautschüppchen.
Der Schwarze kommt angerannt, die riesige Pfanne von eben vor sich hertragend. Er lässt die Henkel aus den Topflappen gleiten, sieht meine Mutter gleich wieder stirnrunzelnd an.
»You eat too?«, fragt er.
Meine Mutter schüttelt den Kopf.
»Claro du esse mit uns!«, ruft Schnuckiputzi, der plötzlich wieder direkt hinter ihr steht.
»Ich hab doch schon«, wehrt sich meine Mutter. Sie macht einen Schritt zur Seite, versucht sich an ihm vorbeizuschieben, wenigstens an ihm vorbeizusehen, aber er drückt sie unnachgiebig auf einen Stuhl.
»So wie du schauhe aus, vertrage auh zwei Male.« Er schöpft ihr etwas auf den Teller, das tatsächlich das gleiche Rind- Wurst -Schweinefüße-Durcheinander zu sein scheint wie vorhin, bleibt, die Finger wie die Fangarme einer Krake um ihr Schulterblatt gekrallt, hinter ihr stehen und ruft den nach und nach ankommenden Kellnern Lob, Tadel und Warnung zu, wie ein Trainer nach dem Spiel, warst du gut heute, Schnuggibuudsi, musst du morge mehr anstrenge, Schnuggibuudsi, hör du Schnuggibuudsi, sonst Schnuggibuudsi komm und zeige wie geht! Das alte Mädchen schubst den drohend in die Luft gereckten Zeigefinger beiseite und stellt ein Backblech auf den Tisch, auf dem so etwas wie eine Pizza liegt. Meine Mutter sieht die dunkle Kruste, den Käse darauf, schmeckt plötzlich den weichen Teig zwischen ihren Zähnen, auch wenn sie keine Ahnung hat, wie der da hingekommen ist. Die Krakenarme bohren sich noch tiefer in ihr Fleisch, während sie mühsam den Kopf dreht, sich hin und her biegt. Aber statt Alex’ schieben sich nur Dimas winzige Äuglein ins Bild. Er lässt sich auf den Stuhl zu ihrer Rechten fallen, zieht die Fliege aus dem Kragen und steckt sie in seine Brusttasche. Ein anderer Kellner setzt sich neben ihn. Er zündet sich eine Zigarette an, lässt sie zwischen den Lippen zappeln, während er seinen Teller füllt. Dann reicht er sie weiter zu Dima und beginnt selbst zu schaufeln. Wie eine Glocke stülpt sich der Qualm über den Tisch, an dem es immer voller wird.
Nur der Platz zu ihrer Linken ist noch frei.
Nadja stolziert durch den Raum, den blauen Kittel halb aufgeknöpft, sodass das Spitzenunterhemd darunter zu sehen ist.
Meine Mutter schaut zu dem asiatischen Jungen, der vielleicht doch schon ein Mann ist, hört, wie er sich mit seinem Sitznachbarn in einer Sprache unterhält, von der sie erst nach mehreren Minuten merkt, dass es wohl Deutsch sein soll, während der Schwarze und
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