Fünf Kopeken
unter ihrem Panzer hervorschaut. »Komm Schura gleich!«, ruft sie zum dritten Mal, als sei es eine Frage der Lautstärke. Sie schaut meine Mutter an, schlägt sich plötzlich mit der flachen Hand gegen den Schädel. »Alexander!«, ruft sie und schüttelt den Kopf, ob jetzt über ihre eigene Begriffsstutzigkeit oder die meiner Mutter, »komm Alexander gleich.«
»Ach so, Alex«, sagt meine Mutter, und »danke.«
Nadja beugt sich zu ihr und stupst sie in die Seite. »Ist gut Mann, Alexander, viel klug.« Sie setzt den Zeigefinger an die Schläfe, genau wie vorhin, auch wenn sie jetzt offenbar das Gegenteil meint.
Dima stürzt wieder herein. Diesmal beginnt er schon an der Tür mit dem Schreien. Er lässt die Bierkrüge in seinen Händen neben die Spüle donnern, fuchtelt wie wild herum. Meine Mutter macht einen Schritt nach hinten. Aber natürlich muss Dima genau dahin. Rüde schubst er sie beiseite, zieht das letzte verbliebene Glas aus dem Regal und hält es in die Luft, als präsentiere er das entscheidende Beweisstück der Anklage, woraufhin nun auch Nadja in sein Geschrei miteinstimmt, nein besser: sein Geschrei übertrifft. Nicht nur was die Lautstärke betrifft, sondern allem Anschein nach auch den Inhalt. Obwohl meine Mutter natürlich kein Wort versteht. Aber auch so bemerkt sie die nur von Schnauben gefüllte Kluft, die jedesmal hinter Nadjas Worten aufreißt, bevor Dima mit sekundenlanger Verspätung ein paar eigene einfallen, sieht, wie sich Nadjas Glieder strecken, als würde ihr Kopf von einer unsichtbaren Schnur nach oben gezogen, nur um beim ersten Luftholen Dimas augenblicklich die nächste Salve auf ihn abzufeuern, bis er plötzlich herumfährt.
Er packt die schmutzigen Gläser, die er gerade erst abgestellt hat, rennt zum Zapfhahn.
»Viel Mensche, wenig Glas«, raunt Nadja meiner Mutter zu, während die mit Entsetzen sieht, wie Dima die alten Krüge mit frischem Bier füllt.
Seine Finger schnipsen in die Luft. »Caneca! Schnell!«, kreischt er und versucht wohl, in ihre Richtung zu nicken, auch wenn er mit seinem nach vorne stoßenden Kopf eher an einen tobenden Bullen erinnert.
Sie glotzt zurück, braucht einen Moment, bis sie versteht und die Gläser, die Nadja gerade erst eingeräumt hat, wieder aus der Spülmaschine zieht und damit zur Theke läuft. Dima reißt sie ihr aus der Hand, schubst sie, also die Gläser, aber doch genauso rüde wie eben noch meine Mutter, unter den Zapfhahn. Der Schaum rinnt über seine Hand, während er eines nach dem andern volllaufen lässt und zu ihr nach hinten reicht. Ihre Arme werden schwer, beginnen zu zittern, und dann sieht sie plötzlich Alex, ausnahmsweise auch mal ein bisschen rot, eine Glasplatte mit einer ausgeschlachteten Melone auf dem Arm. »Kuchnje, dawai!«, ruft er wieder und diesmal so tief, dass meine Mutter es bis in die Magengrube spürt.
Er lässt die Platte auf die Theke knallen und nimmt meiner Mutter die Gläser ab, als falle ihm gar nichts Besonderes auf, als stünde sie jeden Abend hier und helfe mit den Getränken, redet über ihren Kopf hinweg mit Dima, der sofort erneut zu schreien beginnt.
»Ja, ja, ist ja gut«, murrt Alex und lässt sich noch mehr in die Hände drücken, bevor er wieder losläuft.
Meine Mutter schüttelt die Arme aus, knetet ihre Handgelenke, während er die Tür aufstößt, etwas zu einem anderen Mann mit Kochmütze sagt, sich plötzlich doch wieder umdreht und zurückkommt.
Sie springt zur Seite, will ihm den Weg frei machen.
Aber diesmal steuert er direkt auf sie zu.
»Wir haben gerade eine riesen Gruppe reingekriegt, bisschen stressig deshalb«, sagt er und macht ein Gesicht, das man, wenn man sich sehr anstrengt, als entschuldigend interpretieren kann.
»Kein Problem«, antwortet meine Mutter, »ich mach mich hier schon nützlich.«
»Das seh ich.« Er schnalzt mit der Zunge, spreizt den kleinen Finger ein wenig ab und bedeutet ihr, sich ein Bier zu nehmen.
Sie zieht einen der Henkel von seinem Fingerknochen, hält den Krug nach oben. »Nastrowje«, sagt sie.
Alex lacht laut. »Prost.« Er schüttelt den Kopf, sodass ein wenig Bier auf seine Hände schwappt. Dann rennt er wieder los.
Nadja winkt meine Mutter wieder zu sich, klimpert mit dem Geschirr im Spülwasser. »Ist mehr schnell mit Hände!«, sagt sie und reicht ihr ein schaumiges Weinglas.
Meine Mutter hebt das Handtuch vom Boden, auf das Nadja mit der Sandalenspitze deutet, sucht nach einem freien Fleckchen, auf dem sie ihren Krug
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