Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
Vom Netzwerk:
abstellen kann. Der Raum saugt sich mit dem scharfen Zitronengeruch des Spülmittels voll, als ihr plötzlich wieder schwindelig wird. Und dann auch übel. Die Schweinsohren drängen zurück nach oben, schwappen hin und her, als wollten sie Anlauf nehmen vor dem Sprung in die Freiheit.
    Sie schaut zu Nadja, sieht erstaunt, wie sich das zierliche Gesicht wie eine Spirale um sich selbst dreht, als würde es in einen Strudel gerissen. Ihre Augen kippen zur Seite, versinken im Mund, der plötzlich »Astaroschna!« schreit. Dann spürt sie die rauen Hände, die ihr Wasser auf die Wangen klatschen, sie nach oben stemmen. Oder vielleicht ist es auch andersrum. Vielleicht kommt erst das Stemmen und dann das Klatschen. Sie hält sich am Waschbecken fest, spürt die Kühle, die durch ihren Körper strömt.
    »So gut«, sagt Nadja.
    Meine Mutter fährt sich über die Augen, vor denen sich Nadjas Gesicht ganz langsam aufdröselt und zurück in den Rahmen sackt.
    »Danke«, sagt sie und greift wieder nach dem Handtuch. Nadja streicht ihr über den Kopf, versucht ihr irgendwas zu erklären. Oder vielleicht auch sich selbst. Zumindest unternimmt sie keinen Versuch, etwas von dem, was sie sagt, zu übersetzen. Als sei es ihr völlig egal, dass meine Mutter kein Wort versteht, redet sie stur auf Russisch weiter, zeigt zur Tür, zum Himmel, auf sich, auf meine Mutter, während sie ihr ein Glas nach dem andern reicht, sich endlich wieder an ihr Haarnetz fasst und irgendetwas ruft.
    Meine Mutter schaut sie ratlos an.
    »Du gut Haareschneider?«, fragt Nadja, jetzt offenbar doch wieder gewillt, es mit Deutsch zu versuchen.
    »Frisöse«, sagt meine Mutter, und, vielleicht weil sie dann doch ein bisschen Angst kriegt, Nadja könne mit der Verwandlung in Jane Fonda sofort beginnen wollen, »ich, äh, ich bin eigentlich noch in der Ausbildung.«
    »Schul?«
    »Ja, noch ein paar Monate.«
    »Ah, ich denke, du Profi!«, sagt Nadja und nimmt die Hand aus ihren Haaren.
    »Ja, aber, also ich hab schon jede Menge Preise gewonnen«, ruft meine Mutter, genetisch einfach nicht dazu in der Lage, sich den Stempel des Laien aufdrücken zu lassen. Sie hält das Glas, das sie gerade abtrocknet, über den Kopf und stößt es wie einen Pokal in die Luft, »win, win!«
    »Tschimpjoon?«, fragt Nadja unsicher.
    »Ja, Champion«, ruft meine Mutter erfreut und wackelt noch mehr mit dem Glas.
    »So  … du gut?«, fragt Nadja.
    »Ja, ich gut.« Meine Mutter nickt.
    »Früher ich auch Tschimpjoon, ich Tänzerin, Alexander erzählen, stimmt?« Die goldenen Sandalen bewegen sich hin und her.
    »Ja, das hat er erzählt«, sagt meine Mutter.
    Nadja nickt zufrieden. »Ich groß Tänzerin, viele Tschimpjoon!« Ihre Hände legen sich auf ihr Herz. »In Russland, ich Star. Ich immer gut, immer lache.« Sie schüttelt den Kopf. »Deutschland, nix gut. Viel traurig.«
    »Ach«, sagt meine Mutter, und weil Nadja nicht weiterspricht: »Wann waren Sie denn das letzte Mal zu Hause?« Sie zeigt in die Ferne. »Wann, äh, Familie? Besuchen?
    »Oh«, Nadja schüttelt den Kopf, »ich nix Familie viel lang. Viel teuer. Wenn du Hause, du bring Geschenk. Viel Geschenk. Ich nix Geld, so nix Hause.« Einen winzigen Moment lang scheint sich ihr Gesicht zu verdunkeln, aber sofort lacht sie wieder los. »Du auch tanzen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, greift sie nach der Hand meiner Mutter und zieht sie mit sich im Kreis, beginnt irgendetwas zu singen.
    »Nicht doch!«, ruft meine Mutter. Aber das Regal fliegt schon an ihr vorbei, der Zapfhahn, dann das alte Mädchen. Ihr Körper versteift sich, driftet ungelenk von einer Seite zur andern, bis sie plötzlich gegen etwas Hartes stößt. Die Tassen in ihrem Rücken klappern. Aus der Küche schallt Gelächter.
    Durch die Flecken vor ihren Augen sieht sie, wie Nadja zurück zum Becken geht, die Hände ins Wasser steckt. Der Po unter dem Kittel schwingt hin und her, während sie wieder die Melodie von eben zu singen beginnt.
    Meine Mutter drückt sich vom Regal ab, lässt sich eine Schüssel geben. Den Bauch fest an die Armaturen gedrückt, damit sie nicht wieder umfällt, trocknet sie Stück für Stück ab, sortiert das Besteck in die Fächer ein, die Nadja ihr zeigt. Erst als die sie an der Hüfte berührt und »nicht Bimi! Lju-bli-mi!« ruft, merkt meine Mutter, dass sie mitsingt.
    »Ljublimi«, spricht meine Mutter ihr nach.
    »Iiiii«, macht Nadja und drückt den Ton so weit an den Gaumen, dass meine Mutter bei dem Versuch, es ihr

Weitere Kostenlose Bücher