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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Gruppe Geheimagenten zu täuschen und nicht einen zwei Treppen entfernten, hinter einer Metalltür verschanzten, von dauerfernsehenden Russen umgebenen und ohnehin höchstens sporadisch aufnahmefähigen Phlegmatiker. Holte, da sie keine weiteren Männlichkeitsbeweise fand, eine ihrer eigenen Blusen, die so weit geschnitten war, dass sie auch als Herrenhemd durchgehen konnte, und hängte sie auf die Wäscheleine, bevor sie sich endlich sicher genug fühlte, den Brief zu lesen, der auf dem Küchentisch für sie bereitlag.
    »Ich werde dich immer lieben«, stand auf dem Umschlag, als hätten die sechs in Liebesschwüre getränkten Seiten darin noch nicht gereicht. Er habe viel nachgedacht. Die letzten Wochen seien hart gewesen, die härtesten seines Lebens, aber während er gestern, was offenbar mittlerweile schon vorgestern war, in dem Club in Kreuzberg auf sie gewartet habe und sie auch diesmal nicht zum Hochzeitsband-Hören gekommen war, sei ihm alles klar geworden  – was sich in dem endlos verschachtelten Wirrwarr jedoch leider nicht niederschlug. Bei jedem Komma, das einen neuen Nebensatz einleitete, der sich seinerseits durch eine Fülle unnötiger, überflüssiger, irrelevanter, redundanter, anscheinend mit dem Vorsatz, jedem, aber auch wirklich jedem von ihnen eine Chance, sie ins Herz zu treffen, einzuräumen, aneinander gereihter Adjektive in die Länge zog, dass meine Mutter am Ende keine Ahnung mehr hatte, wie der verdammte Satz angefangen hatte, wurde sie gereizter, bis sie kurzerhand zum Schluss sprang. »Offensichtlich bedeutet dir deine Karriere mehr als der Mann, den du liebst. Das muss ich akzeptieren.« Um zu vermeiden, dass sie sich bei der Arbeit über den Weg liefen, habe er meinen Großeltern erzählt, die bevorstehende Hochzeit habe in ihm den Wunsch geweckt, sich mit seiner geflohenen Mutter auszusprechen; er wolle daher in den Westen fahren, um sie zu suchen, »entscheide du, ob du ihnen die Wahrheit sagst, mir selbst fehlt die Kraft dazu, Dein Arno.«
    Alle Achtung, vielleicht hat Anna das mit der Phantasie ja wirklich von ihm, sagte sich meine Mutter.
    »Das meinst du jetzt als Scherz, oder?«, unterbrach ich sie, und, als sie mich nur mit leerem Blick ansah, »dir war schon klar, dass du dir diese Anna nur ausgedacht hast?«
    »Ja, äh, natürlich«, murmelte sie unsicher. Sie zog die Oberlippe mit den Zähnen nach innen, begann sich wieder zu kratzen. Je weiter die Metastasen sich ausbreiteten und ihre Leber am Arbeiten hinderten, desto schlimmer wurde der Juckreiz. Trotzdem war ich mir ziemlich sicher, dass es in diesem Moment eher ihre Verwirrung war als der Krebs, der ihre Finger hektisch hin und her fahren ließ, als würden sie über die Saiten einer Gitarre schrappeln.
    »Herrje, ich war gerade verlassen worden, da darf man ja wohl mal nen Moment neben sich stehen!«, rief sie endlich und brachte vor Ärger wieder den Infusionsständer zum Wackeln.
    »Ach, jetzt plötzlich!«, erwiderte ich patzig. Wofür ich dann auch gleich wieder ein paar Stunden aus dem Zimmer verbannt wurde.
    Aber auch als sie das Buch, in dem zu lesen sie vorgab, weglegte und mich wieder reinließ, als sie sich, offenbar milder gestimmt, nach meiner Großmutter erkundigte und meine Antwort, ich habe die lange Abwesenheit meiner Mutter mit einem Besuch bei Lieferanten in Indien erklärt, von wo aus sich nur Emails schreiben, nicht aber anrufen ließe, mit einem fast stolzen Nicken würdigte, als sie richtig zu kichern begann, während ich ihr erzählte, wie ich meiner Großmutter die Anschaffung »eines von diesen Internets« damit ausgeredet habe, dass sie sich, wenn doch bereits Handys so krebserregend seien, ja wohl bitte selbst ausrechnen könne, wie viel schlimmer so ein Ding wäre, mit dem man die ganze Welt erreicht, als ich die Vertraulichkeit zwischen uns endlich nutzte, um sie ganz vorsichtig zu fragen, ob ihr der Weggang meines Vaters nicht vielleicht doch ein bisschen was ausgemacht habe, schüttelte sie nur den Kopf.
    Meine Großeltern seien ein bisschen verstimmt gewesen, dass Arno sich »ausgerechnet jetzt!« auf Spurensuche hatte begeben müssen, sodass meine Mutter die ersten Tage wieder öfter ins Büro gegangen sei, um seine Arbeit mitzumachen. Babsi habe ein paar Mal angerufen, um sie zum Ausgehen zu überreden, »solange du ganz allein bist.« Aber tatsächlich fühlte meine Mutter sich weder allein noch einsam. Nicht mal wirklich in ihrem Stolz verletzt, dabei reichte dazu sonst schon

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