Fünf Kopeken
Hochzeit des Juwelierfreundes, der, wie es sich für Männer seines Standes ziemte, seine Frau mittlerweile sitzen gelassen hatte und stattdessen das Mädchen aus dem Häuschen mit dem Gärtchen in der Toskana ehelichen wollte, natürlich ohne vorherige Absprache mit meiner Großmutter angenommen hatte.
»Ausgerechnet jetzt!«, jammerte die. »Wo doch schon der Arno weg ist!«
»Was hat das eine denn bitte mit dem andern zu tun?«, rief mein Großvater, und, »mein Gott, was freu ich mich auf einen richtigen Kaputschkino!«
Alles, um was sich meine Mutter zu kümmern hatte, waren die Blumen vor der Tür. Ansonsten hatte sie die Wohnung ganz für sich.
Für sich und für ihn.
Sie lud ihn noch am selben Tag ein. Zuerst eigentlich nur mit dem Ziel, da weiterzumachen, wo sie im Hotel aufgehört hatten. Aber als er dann, vielleicht weil es erst zehn Uhr morgens, also für ihn noch mitten in der Nacht war, etwas lahm »und was sollen wir da?« fragte, hatte sie das Gefühl, mit mehr aufwarten zu müssen und behauptete, »endlich mal« etwas für ihn kochen zu wollen.
»Du?«, fragte er, als sei allein der Gedanke absurd, was er, nichts für ungut, tatsächlich war. Seit der damaligen Stippvisite ins Alleinleben, während der meine Mutter sich im Endeffekt ja auch hauptsächlich aus besagten Tupperdosen ernährt hatte, war sie, von Arno und meiner Großmutter umsorgt, vielleicht zwei-, dreimal in die Verlegenheit gekommen, selbst zu kochen (und war, das wieder nur am Rande, zeitlebens so schlecht darin geblieben, dass ich wann immer möglich bei Freunden aß). Aber sie sagte: »Klar, wie eine gute Frau«, und lachte, damit er auch merkte, dass sie nur scherzte. Was er wohl trotzdem nicht merkte. Aber das freute sie dann auch wieder.
Sie plante alles generalstabsmäßig. Die Rezeptesammlung meiner Großmutter wurde durchgearbeitet, der Aufwand der einzelnen Gerichte miteinander verglichen, potentieller Gewinn gegen mögliches Risiko abgewogen. Dann hatte sie die Idee, ihn mit etwas aus seiner Heimat zu überraschen, was sie so begeisterte, dass sie sofort in den Buchladen rannte und »Kulinarische Streifzüge durch die Sowjetunion« kaufte. Und wo sie schon mal da war, auch gleich noch »Russisch in 30 Tagen«, mit dazugehöriger Kassette, die sie im Hintergrund laufen ließ, während sie den von einer dicken Staubschicht bedeckten Band durchblätterte. Soljanka – Borschtsch – Blini. Sdrastwujte – Kak dila? – Charascho! Sie ließ die Finger über die dunklen, angerauten Fotos gleiten, auf denen alles irgendwie gleich aussah, gleich verkocht, gleich grau, gleich matschig, entschied sich schließlich für Pelmeni, weil die a) wie Tortellini aussahen, was sie zumindest kannte, und b) laut Begleittext aus Tatarstan stammten, sodass sie ihm, falls ihnen der Gesprächsstoff ausginge, zur Not doch noch von Mischa Sergewitsch erzählen könnte.
Aber schon der Einkauf stellte sie vor ungeahnte Herausforderungen. Mehrfach musste sie die Dame hinter dem Tresen bitten, ihr bei der Suche der Zutaten zu helfen, bis sie ihr den Einkaufszettel schließlich ganz reichte, wie ein kleines Mädchen, das des Lesens noch nicht mächtig ist. Aber was es mit diesem Smetana auf sich hatte, mit dem die Pelmeni verfeinert werden könnten, wusste auch die nicht, sodass meine Mutter, unfähig, sich mit unfeinen Pelmeni zu begnügen, von einem Geschäft zum nächsten lief und, leider noch weniger fähig, an einem Tag auch noch einem zweiten Menschen gegenüber ihre Unfähigkeit einzugestehen, bei jedem ihr unbekannten Produkt mühselig auf der Rückseite die Inhaltsstoffe studieren musste. Erst in einem Laden, von dem man sich nicht ganz sicher sein konnte, ob er noch Restbestände ab- oder schon Ostalgie verkaufte (die damals aber ganz sicher noch nicht so hieß), stieß sie schließlich auf eine Verpackung, auf der tatsächlich in großen Lettern Smetana prangte. Darunter war ein Schälchen mit irgendeiner von Schokoladensplittern bedeckten Creme abgebildet, was meine Mutter zwar etwas befremdlich fand. Aber damals war das gedruckte Wort noch etwas wert. Zumindest Menschen wie ihr.
Sie schleppte die Tüten nach Hause, stellte die kulinarischen Streifzüge hochkant an die Wand und band sich die Schürze meiner Großmutter um.
Aber so geübt sie mittlerweile auch darin war, alle möglichen Rollen zu spielen – die der perfekten Hausfrau wollte ihr nicht gelingen. Der Teig klebte an ihren Fingern, in der Schüssel, an der
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