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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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in sein Einmachglas, hatte schon einen Wurm zwischen den Fingern, als er sich plötzlich umdrehte, ihr endlich sein Gesicht zuwandte, das auf einmal fast beängstigend wirkte.
    »Was willst du denn von mir ?«, fragte er so laut, dass meine Mutter unwillkürlich zurückwich.
    »Was meinst du denn?«
    »Das sag ich doch gerade«, rief er ungeduldig, »was willst du von mir?«
    »Ich will dich«, flüsterte sie.
    »Schmonzes!«, schrie er, »du magst mich doch nicht mal!«
    Meine Mutter schüttelte verwirrt den Kopf. »Wie kommst du denn darauf?«, sagte sie, »natürlich mag ich dich!« Und merkte in dem Moment, in dem der Satz ihren Mund verließ, dass es eine Lüge war. Ja, sie dachte an ihn, pausenlos, fühlte ihn, träumte von ihm. Aber wirklich mögen tat sie ihn im Grunde nicht.
    »Ich liebe dich«, rief sie, denn dass das stimmte, da war sie sich sicher.
    »Ach und warum bitte?« Er sah sie herausfordernd an, trippelte auf den Boden.
    Weil du nur mir gehörst?, wollte meine Mutter sagen. Weil ich mich nie so deutlich spüre, wie wenn du mich anfasst. Weil ich nicht weiß, was das sonst sein sollte als Liebe.
    »Weil du mich angesehen hast«, sagte sie stattdessen.
    »Du kannst doch nicht dein ganzes Leben auf den Kopf stellen, nur weil dich einer angesehen hat!« Er schüttelte den Kopf, steckte seine Angelrute in den Boden und setzte sich daneben. »Hast du dir mal überlegt, was passiert, wenn dein Mann etwas erfährt? Was, wenn er dich und Anna verlässt?«
    Meine Mutter kniete neben ihm nieder. »Wir kämen schon auch alleine zurecht.«
    Alex lachte höhnisch. »Du hast doch keinen Schimmer davon, was es heißt, sich alleine um eine kleine Tochter zu kümmern.« Er schob seine Armbanduhr, die er also wohl doch auch sonst trug, auf dem Handgelenk herum. »Und was, wenn dein Mann sie dir wegnimmt?«
    Meine Mutter spürte, wie ihr schon wieder schlecht wurde. Sie dachte daran, ihm alles zu sagen. Dass der Mann, der ja nicht mal wirklich ihr Mann war, sie längst verlassen hatte. Dass es keine Anna gab. Dass es gar nichts gab, was man ihr hätte wegnehmen können. Außer ihn. Aber sie wusste, dass sie ihn dann erst recht verlieren würde. Dass sie dann nicht mal mehr hätte hoffen können, nicht mehr warten, dass sie dann nicht mal mehr das Herzklopfen hätte, jedes Mal, wenn sie Schritte hörte, wenn sie das Haus verließ, wenn sie wieder zurückkam.
    Sie drehte sich zu ihm, betrachtete ihn, wie er neben ihr hockte, fast scheu, die Arme um die Beine geschlungen, den Kopf auf den Knien. Sie legte die Hand auf seinen Rücken, rieb über den in sich verschlossenen Körper, als würde sie einen Steinblock schleifen. Aber sein Kopf rutschte nur noch tiefer zwischen die Knie.
    Sie ließ den Blick über den See schweifen, in dem die Sonne versank, als würde man einen Eimer Farbe ins Wasser kippen. Sah das letzte Licht, das sich in den Wellen spiegelte.
    Und dann machte sie auf einmal den Uwe: Vor lauter Angst wurde sie mutig. Sie zog sich den Pullover über den Kopf, zerrte die Socken von den Fersen, traute sich nicht nachzusehen, ob er wenigstens aufschaute, während sie, endlich nur noch in der Unterhose, losrannte. Sie spürte den Wind an ihren Armen, das Wasser, das gegen ihre Knie schlug, lief immer weiter, bis sie auf dem algigen Boden ausrutschte und vornüberfiel. Der See war so kalt, dass sie einen Moment zu atmen vergaß.
    Sie schwamm in das silbrige Dreieck, das noch immer ganz leicht schimmernd zu sehen war, hielt ihren Blick an den Bäumen auf der andern Seite fest. Erst als sie sich ganz sicher war, nicht mehr stehen zu können, drehte sie sich um und sah die leere Stelle am Ufer, an der er eben noch gesessen hatte, dann seinen Kopf, wie eine Boje im Wasser, die ganz langsam auf sie zutrieb.
    Er legte sich auf den Rücken, schien sich einen Moment ausruhen zu wollen, bevor er sich unvermittelt zu ihr beugte und »Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so ist wie du« sagte.
    Meine Mutter schaute auf, konnte nicht umhin zu lächeln, während sie sich eine nasse Strähne aus dem Gesicht strich.
    »Nein«, er schüttelte den Kopf, »nicht so.« Seine Stirn kräuselte sich.
    Selbst in dem kalten Wasser fühlte sie, wie ihr die Hitze in den Kopf schoss. Sie hielt die Luft an, während sie von ihm wegschwamm, wohl wissend, dass in dem Moment, in dem sie einatmete, nicht nur der Sauerstoff, sondern auch der Schmerz in sie einströmen würde. Sie hörte das Rauschen in ihren Ohren, spürte ihre Beine,

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