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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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herausbrachte, dass Alex zum Fischen gefahren sei. Bis die S-Bahn den See erreichte, dessen Namen die Russen ihr mehrfach hatten vorsprechen müssen, hatte meine Mutter sich bereits in eine solche Panik hineingesteigert, dass es selbst meiner Großmutter Ehre gemacht hätte. Ihr einziges Glück war, dass es geregnet hatte. Die meisten Buchten waren verwaist, sodass meine am Ufer entlanghetzende Mutter nur vier, fünf Grüppchen Hartgesottener aufschrecken musste, bis sie tatsächlich seine Stimme hörte, die irgendwas mit »Stelle« oder »Welle« sagte, genau konnte sie das nicht verstehen.
    Dima war der Erste, der sie bemerkte.
    »Schnuckiputzi!«, rief er und lachte sich über sich selbst kaputt. Hinter ihm tauchte Paul auf, der Deutsche, den meine Mutter damals bei ihrem ersten Besuch in der Wohnung oben kennengelernt hatte.
    »Ich glaub, ich spinne«, rief er (also eigentlich wohl »ick gloob, ick tille« oder so, aber um daran zu denken, dass Paul ja eigentlich berlinerte, war meine Mutter auch beim Nacherzählen noch zu nervös), »die Frau Nachbarin! Haben wir wieder die Polizei im Schlepptau?«
    »Eins, zwei, Polizei«, rief Dima und fand sich offenbar noch mehr zum Schießen. Er sprang von seinem Klappstuhl auf und rief etwas zum Ufer hin, wartete, bis Alex sich umdrehte. Dann prustete er erneut los.
    Meine Mutter versuchte ein Winken, aber Alex blickte sie nur unverwandt an, weder erfreut, noch ärgerlich, eher, als habe sie gar nichts mit ihm zu tun. In der einen Hand hielt er eine Flasche, in der anderen eine Angelrute, die sanft hin und her schwang.
    »Hallo«, rief sie, so leichthin wie möglich, was natürlich nicht wirklich möglich war, aber Alex wandte sich ohnehin nur wieder zum Wasser und warf erneut seine Angel aus.
    Dafür kriegte Dima sich vor Begeisterung über ihr Erscheinen gar nicht mehr ein. »Drei, vier, great idea«, kreischte er und zappelte herum, wie ein kleiner Junge, der das Pinkeln rauszögert. Er rieb sich das schweißnassgelachte Gesicht, schnappte nach Luft, fragte endlich: »How you know where we?«
    »They told me upstairs that you were here«, sagte meine Mutter, und Dima tat ihr den Gefallen, so zu tun, als gelte das »you« tatsächlich ihnen allen.
    »Yes, we fish«, sagte er, noch immer mit hüpfender Brust, und zog zwei Bier aus der Kühlbox. Er reichte eines meiner Mutter, schob ihr seinen Klappstuhl hin.
    »Und du bist uns nachgekommen, weil was?«, fragte Paul und schaute über ihre Schulter hinweg, als würde er tatsächlich damit rechnen, dass ihr jemand folgte.
    »Äh, nur so«, sagte sie, während Dima ihren Kronkorken mit dem Feuerzeug wegschnalzte.
    »Ähä?«, sagte Paul.
    »Ich, äh, ich dachte, also dass, äm, ich wollte vielleicht noch ein bisschen schwimmen.«
    Paul schaute auf ihren Pullover, zu den dicken Socken, die sich über ihren Schuhen aufstauten, drehte sich dann aber doch wortlos um. Erst als Dima seine Flasche gegen ihre krachen ließ und »Prost!« bellte, wobei er das »R« so lange rollte, dass der Rest des Wortes fast davon verschluckt wurde, rief er »Hopfen und Malz erleichtern die Balz!« und brach in sein Meerschweinchenquieken aus.
    Dima stimmte mit ein, auch wenn meine Mutter sich nicht vorstellen konnte, dass er Paul verstanden hatte. Aber wahrscheinlich lachte er einfach zu gern, um sich eine Gelegenheit dazu durch die Lappen gehen zu lassen.
    Schüchtern prostete sie Paul zu, der ebenfalls ein braunes Fläschchen an den Bauch drückte, setzte sich auf den Klappstuhl. Dima und Paul ließen sich rechts und links von ihr auf Kühlbox und Boden nieder und begannen, sich miteinander zu unterhalten, was bedeutete, dass der eine von ihnen etwas in seiner jeweiligen Muttersprache sagte, woraufhin der andere seine Flasche in die Luft hob und »Prost« brüllte, sie beide tranken, lachten, noch mal tranken. Den Zeigefinger an die Lippen pressten und mit dem Kinn zu Alex zeigten. »Pscht!« machten. Kicherten. Bevor sie wieder von vorne anfingen.
    Hie und da lachte meine Mutter auch ein bisschen, auch wenn nicht mal der deutsche Teil zu ihr durchdrang. Ansonsten konzentrierte sie sich voll und ganz darauf, ihre Augen in Alex’ Rücken zu bohren, als könne sie ihn mit der Kraft ihres Blicks zu sich drehen, so wie er es damals in der Bahn bei ihr gemacht hatte.
    Aber stattdessen ging er nur noch weiter aufs Wasser zu, schaute sich nicht um, riss nur plötzlich ruckartig die Angel in die Höhe.
    Er lehnte sich nach hinten, begann zu kurbeln,

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