Fünf Kopeken
zog einen riesigen Brocken aus dem Schilf. Das Wasser spritzte in alle Richtungen, so wild zappelte der Fisch, als er über den Grund geschleift wurde.
Dima und Paul sprangen auf und liefen ans Ufer. Nur meine Mutter blieb sitzen, sah von ihrem Klappstuhl aus zu, wie Alex an seiner Zigarette zog, sie auf dem Flaschenhals ablegte, eine Eisenstange vom Boden nahm und sie auf den Bauch des Fisches sausen ließ, mit der gleichen Ruhe, die jeder seiner Bewegungen innewohnte. Ein einziger kräftiger Schlag genügte und das Zappeln hörte auf. Er friemelte den Haken aus dem glitschigen Maul und warf den Fisch in einen Eimer, wischte sich die Hände an seiner Bundeswehrhose ab. Dann steckte er sich die Zigarette zurück in den Mund.
Paul stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Alle Achtung«, sagte er und hob sein Bier in die Luft, und, als sei ihm das noch nicht genug, »alle Fische wollen bumsen, nur nicht Flipper, der hat Tripper«, worüber erst er und dann auch Dima sich wieder ausschütteten, Letzterer so doll, dass der Großteil seines Biers auf den Boden schwappte. Er trank den Rest in einem Zug aus und warf die Flasche ins Wasser, krallte endlich seine Finger in Pauls Schulterblatt und krächzte mühselig, aber doch deutlich zu verstehen »zu dirrr oderrr zu mirrr?«
Paul prustete wieder los, ließ sich aber doch widerstandslos zurück- und den Rucksack über die Arme ziehen, während Dima selbst die Kühlbox hochhievte. »Paka!« rief. Und dann noch etwas anderes, was diesmal sogar Alex zum Lachen brachte. Die Katzenaugen mit der Hand abschirmend, schaute er über die Schulter und rief etwas zurück. Dima schnalzte mit der Zunge, dann tätschelte er meiner Mutter den Kopf und stapfte, den ihm gerade mal bis zur Achsel reichenden Paul wie einen kleinen Bruder im Arm haltend, davon.
Meine Mutter sah ihnen nach, wie sie schwankend zwischen den Bäumen verschwanden, hörte das Schmatzen der Gummistiefel. Sie drehte sich um, sah, wie Alex die Finger in ein Einmachglas steckte, wie er so damit beschäftigt war, einen Wurm herauszubekommen, dass er gar nicht zu hören schien, wie sie auf ihn zukam. Und es wohl doch hörte. Zumindest zuckte er nicht mal, als sie endlich direkt hinter ihm »Wie geht’s?« fragte.
»Hm«, machte er.
»Hast du gestern noch lange arbeiten müssen?«
Er nickte. Oder vielleicht senkte er auch nur den Kopf, um den Wurm am Haken zu befestigen.
»Tut mir leid, dass ich mich nicht mehr verabschiedet habe.«
»Hm«, machte er wieder.
Meine Mutter drückte die Hände auf den Magen, in dem es erneut gefährlich zu rumoren begann. »Mir ging’s nicht so gut.«
»Kein Ding«, grummelte er und richtete sich auf.
Meine Mutter trat noch näher an ihn heran, streckte endlich zögerlich die Hand nach ihm aus, aber in dem Moment fuhr sein Ellenbogen nach hinten. Er holte aus, riss die Angelrute über den Kopf.
Sie zog die Finger zurück, sah, wie der Wurm in hohem Bogen durch die Luft flog und an der Wasseroberfläche aufschlug.
Sie folgte den Bewegungen seiner Arme, betrachtete die flachen Wellen, dann die Baumkronen, durch die rotgolden das Licht der untergehenden Sonne schimmerte.
»Bist du sauer, dass ich hergekommen bin?«, flüsterte sie in die Stille.
Alex zuckte die Schultern.
»Willst du, dass ich gehe?«
Er fuhr sich über den Schädel, der jetzt wieder völlig kahl war. Nur über den Ohren standen noch ein paar längere Härchen, die er wohl beim Rasieren vergessen hatte. »Der See gehört nicht mir.«
Er griff wieder nach seiner Flasche, legte den Kopf nach hinten. Die letzten Strahlen fielen genau in seine Augen, färbten sie fast grünlich. Das Herz meiner Mutter schwoll so an, dass die Lunge darunter zusammengequetscht wurde. »Ich versuch doch nur rauszufinden, was du von mir willst.«
Er setzte sein Bier ab. »Gar nichts«, sagte er, »ich will gar nichts von dir.«
Sein Arm schnellte wieder nach vorne. Das Seil spannte sich. Er holte die Angel ein und betrachtete den Fisch, der kaum größer als seine Handfläche war, riss ihn vom Haken und warf ihn zurück ins Wasser.
»Was machst du denn da?«, rief meine Mutter.
»Zu klein.«
»Aber du hast ihn doch gefangen?«
»War ein Versehen«, murmelte er, »man weiß halt vorher nicht, was anbeißt.«
»Aber kann er denn so überhaupt weiterleben?«, fragte sie, so weinerlich, dass sie sich am liebsten eine gescheuert hätte.
Alex zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Er griff wieder
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