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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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bemühte, ihre Tränen als Mutterglück zu tarnen.
    Aber ganz hatte sie noch nicht aufgegeben. Obwohl Arno ihr in den ersten Wochen noch mindestens vier Heiratsanträge machte und, nachdem sie beim ersten Mal noch entschuldigend, dann immer gereizter abgelehnt hatte, pausenlos anbot, auf mich aufzupassen, die Nachtschicht zu übernehmen, wenigstens mal mit mir um den Block zu gehen, falls meine Mutter ein Bad nehmen wolle  – »ein Bad! Als würden wir uns überhaupt nicht kennen!«  –, achtete sie peinlichst darauf, dass er nicht zu viel Zeit mit mir verbrachte, als bestünde die Chance, ein Fortschreiten der Erstinfektion durch strikte Quarantäne noch aufzuhalten. Entnervt wartete sie darauf, dass er endlich klein beigeben würde. Aber seine Liebe war die einzige Sache, bei der er durchhielt. Fast schon gewaltsam musste sie ihn aus der Wohnung schieben, und meine Großmutter gleich hinterher, um mit mir allein zu sein, sodass sie mir endlich Nadjas Lied von der liebeshungrigen Frau vorsingen konnte. Aber wahrscheinlich sprach sie das iii in Ljublimi noch immer nicht richtig aus. Zumindest half mal auch das nicht, ein bisschen Alex hinter den schmalen Arnolippen hervorzulocken, auch wenn sie es noch Jahre versucht haben muss. Sonst könnte ich mich ja wohl kaum noch daran erinnern. Aber das tue ich. Nicht an den Text. Bis vor Kurzem wusste ich nicht mal, dass der russisch war. Aber die Melodie kenne ich, und als ich sie, lange bevor meine Mutter krank wurde, mal bei der Arbeit vor mich hinsummte, stimmte eine Kollegin sofort mit ein und erkannte tatsächlich einen alten Sowjetschlager darin.
    Aber damals dachte ich mir noch nichts dabei. Genauso wenig wie bei meinem Namen, von dem es immer hieß, meine Mutter habe ihn so schnell auf das Krankenhausformular gekritzelt, dass keiner etwas dazu hatte sagen können.
    »Da braucht auch keiner was zu sagen. Das ist meine Entscheidung und nur meine!«, fauchte sie, als meine Großeltern protestierten.
    »Ich dachte, du nennst sie nach der Schneider-Oma?«, rief mein Großvater.
    »Oder nach meiner Mutter!«, meine Großmutter, woraufhin meine Mutter ihren ersten großen Wutanfall bekam.
    »Herrgott noch mal, das ist meine Tochter und ich bestimme, wie sie heißt, geht das vielleicht mal in euern Schädel rein?«, brüllte sie los, brüllte wirklich, und das so laut, dass meine Großmutter, schnell irgendwas von »postnatal« in den Gang flötend, die Tür schloss.
    »Ja, ja, ist ja gut«, sagte sie beschwichtigend, »wir dachten ja nur, es wäre schön, wenn das Kind einen Bezug zu seinen Wurzeln hat.«
    Aber darüber regte sich meine Mutter noch mehr auf.
    Und im Grunde ihr Leben lang nie wieder richtig ab.
    Es begann die Zeit, in der sich das Verhältnis zwischen ihr und meinen Großeltern rapide verschlechterte. Nicht mal mein Großvater war noch vor ihren Launen sicher. Sie diskutierten noch immer, aber mit jedem Abend wurden ihre Streitgespräche mehr Streit und weniger Gespräch. Seine Unnachgiebigkeit, die sie früher als Konsequenz bewundert hatte, fand sie nun immer öfter einfach nur noch engstirnig. Sie verlor die Geduld, seine abgestandenen Argumente zu widerlegen, fiel ihm ins Wort, wurde patzig, verletzend, stürmte mitten im Essen Türen knallend aus dem Zimmer. Gerade eben Mutter geworden, kam sie endlich in die Pubertät. Letzteres hätte mein Großvater ihr vielleicht noch verzeihen können, aber Ersteres nicht. Mich konnte er ihr nicht verzeihen. Natürlich sagte er das nicht laut, und wenn Freunde zu Besuch kamen, hielt er mich über den Kopf und zeigte mich herum wie einen Pokal. Aber dass jetzt wieder so ein kleiner Schreihals da war, dass meine Mutter dank dieses Schreihalses über Windpocken sprach statt über metachromatische Leukodystrophie, dass sie nach käsigem Speichel roch, dass er gezwungen war, so zu tun, als würde er die riesigen Brüste nicht bemerken, die nach dem Stillen sekundenlang aus dem BH -Fenster hingen, dass sie unübersehbar zur Frau geworden war, damit konnte er sich nicht abfinden.
    Und meine Großmutter litt noch mehr. Natürlich gab auch sie das nicht zu. Natürlich war sie die Erste, die jedem erzählte, wie glücklich sie sei, wie dankbar, dass der Herr ihr auf ihre alten Tage doch noch ein bisschen Familie geschenkt hatte. »Drei Generationen unter einem Dach«, rief sie  – auch dazu gleich  – und klatschte in die Hände, »was kann es Schöneres geben?«
    Aber in Wahrheit hielt sie die Tatsache, dass der

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