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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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wimmernd duckt, während der Vater auf ihn eindrischt. Daran, wie schwach ich war. Dass ich nie gegen ihn aufbegehrt habe. Es war, als würde sie mich die ganze Zeit an mich selbst erinnern. So kann man kein neues Leben beginnen.«
    »Mein Gott, was soll ich denn den Leuten sagen?«, rief meine Großmutter und ventilierte die möglichen Ausreden gleich mal durch, lief dann aber doch in die Küche, um einen Kuchen zu backen, weil der vorbereitete Pudding anlässlich der Rückkehr des Schwiegersohns in spe zu läppisch war. Mein Großvater begann über die Mode im Westen zu dozieren, die seiner Meinung nach mittlerweile in ihrer Schrecklichkeit fast an die im Osten heranreichte. Arno aß und nickte und aß noch mehr. Meine Mutter hatte keinen Appetit, ließ sich aber bereitwillig ein paar Stücke einpacken.
    Und auf dem Nachhauseweg machte sie dann Schluss.
    »Wenn du mich wirklich liebst, dann frag mich nicht warum«, sagte sie, was wohl die größte Gemeinheit war, die sie meinem Vater je angetan hat. Aber wahrscheinlich tat es ihr gut, dass es wenigstens einen gab, der nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte.
    Dass sie schwanger war, wusste sie da schon.
    Babsi war die Erste, der sie davon erzählte. Und so geschockt, dass meine Mutter beim Anblick ihres Gesichts zum ersten Mal seit Monaten wieder laut lachte.
    Das Gespräch mit meinen Großeltern verlief weniger lustig.
    »Aber das Kind braucht doch einen Vater!«, kreischte meine Großmutter, als meine Mutter den beiden nicht nur die endgültige Trennung von Arno gestand, sondern auch, dass es sich bei jenen Umständen, die sie nachträglich von der Prüfung befreit hatten, tatsächlich um andere handle, in denen sie nun eben sei.
    »Das Kind hat ja auch einen Vater«, antwortete sie und brauchte eine Sekunde, bevor sie weitersprechen konnte, »es wird nur nicht bei ihm aufwachsen.«
    Mein Großvater schüttelte den Kopf. »Geh ma fort, du kannst doch nicht ganz allein ein Kind großziehen!«
    »Natürlich kann ich«, rief meine Mutter und erfand mit letzter Lügenkraft ein paar befreundete alleinerziehende Mütter, Anwältinnen, Geschäftsfrauen, natürlich Ärztinnen, die ihre Kinder allesamt ganz hervorragend groß bekämen, auch ohne Mann, gerade ohne Mann, redete so lange, bis mein Großvater, wütender über die Tatsache, dass sie ihn nicht zu Wort kommen ließ als über alles andere, »die Diskussion für beendet« erklärte. Erst als sie auch in den folgenden Monaten auf ihrer Entscheidung beharrte, machte er ihre Argumentation wieder zu seiner eigenen und erzählte jedem, dass er ja schon immer der Meinung gewesen sei, Frauen könnten sehr wohl »ihren Mann« stehen. Aber als der Feminismus noch ihm gehörte, hatte er ihm besser gefallen.
    Der Einzige, der nicht informiert wurde, war mein Vater. Das ließ meine Mutter nicht zu, »nicht, bevor man überhaupt weiß  … also, solange noch nicht klar ist, ob  … «
    »Ob was?«, fragte meine Großmutter.
    »Ob, äh, also, ob auch alles mit dem Kind in Ordnung ist«, stammelte meine Mutter und ließ sie schwören, Arno kein Wort zu sagen.
    Aber die Hoffnung schaffte es nicht mal so lange auszuharren, bis meine Mutter mich selbst zu Gesicht bekam.
    »Ganz der Vater«, rief meine Großmutter durch den Kreißsaal und fiel der Hebamme vor Erleichterung um den Hals, noch ehe die meiner Mutter das Kind in die Arme gelegt hatte.
    »Unsinn«, brummte mein Großvater und bohrte den Zeigefinger in mein Kinn, »eine waschechte Schneider.«
    Aber selbst meine Mutter konnte nicht umhin, die schwarzen Löckchen zu bemerken, die sich nass und klebrig auf meiner Stirn kräuselten. Den langgezogenen Körper, den sie immer wieder untersuchte, als könne sich doch eins seiner Gene zu mir verlaufen haben. Mit dem Trotz der Geschlagenen klammerte sie sich an den Gelbstich in meinen Augen, wies jeden darauf hin, die herbeieilende Babsi, die Schwestern, die Ärzte, woraufhin die jedoch sofort mit der Phototherapie begannen, die dann leider auch recht schnell anschlug. Nach zwei Tagen wurde die Iris grünlich, nach drei braun, nach vier schwarz, bis sie sich schließlich so unübersehbar in das Puzzle fügte, dass meine Mutter nur noch entkräftet nicken konnte, als meine Großmutter ungeduldig den Hörer in die Luft hielt.
    Mein Vater war ganz kirre vor Freude, dass seine Liebe am Ende doch noch fruchtbar gewesen war. Aufgeregt rannte er zwischen der Neugeborenenstation und meiner Mutter hin und her, die sich inständig

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