Fünf Kopeken
Klingeln endlich die Tür geöffnet wurde, hatte Michaela, so hieß das Mädchen, Michaela Thies, daran konnte sich meine Mutter komischerweise erinnern, wahrscheinlich weil Zurückweisung tiefere Spuren hinterlässt als das Gegenteil, als Michaela also endlich die Tür öffnete, war sie noch nicht mal fertig angezogen.
»Oh«, sagte meine Mutter.
»Oh«, sagte Michaela.
Von da an ging es mit der Unterhaltung bergab.
Durch nichts miteinander verbunden als der beiderseitigen Einsicht, dass sie nichts miteinander verband, standen sie in der Küche und schwiegen sich an, lauschten Bata Illic, der im Hintergrund immer wieder Michaelas Namen rief, und tranken eifrig beziehungsweise nippten angewidert an ihrem Bier, das sich meine Mutter aus lauter Verzweiflung geben ließ, obwohl sie es natürlich »widerlich«, Schulter hoch, Mund auf, Zunge raus, »wiiiiiderlich!« fand. Wie ein Häftling durchs Zellengitter schaute sie über den Tresen hinweg ins Wohnzimmer und betrachtete die kackbraunpissgelbgeblümte 70er-Jahre-Gemütlichkeit, den Fliesentisch, die weinenden Pierrots und Cognacschwenker im Wandschrank, sah endlich sie beide im Spiegel, links Michaela, von der ihr allmählich dämmerte, dass sie doch schon angezogen war, auch wenn das hauchdünne Oberteil, dessen Träger ihr im Laufe des Abends bei jeder Bewegung von der Schulter rutschen sollten, manchmal versehentlich, bei meiner Großmutter nicht mal als Unterhemd durchgegangen wäre; rechts meine Mutter in ihrem rosafarbenen Kleidchen, das Haar in zwei fädchendünnen Zöpfen um den Kopf gebunden, so altbacken, wie es nur meine Großeltern fertigbrachten, eine 14-Jährige zu verunstalten. Die Saugnäpfe hatten sich mittlerweile in leere Spritztüten verwandelt, die sich unübersehbar durch den Stoff drückten, aber meine Großmutter hatte »zwei Nägel auf nem Brett. Wär’ schad ums Geld« gerufen und den BH , den ihr meine Mutter gezeigt hatte, ärgerlich zurückgehängt. Über die Arme hatten sie ihr ein rosa Westchen gezogen und ein rosa Täschchen gehängt, alles passend zum Kleidchen, das sich mit jeder Minute mehr mit der Nase meiner Mutter biss.
Meine Mutter und Michaela redeten ein bisschen, erkannten aber schnell, dass Schweigen im Vergleich dazu dann doch besser war. Meine Mutter stierte auf die Uhr, trat von einem Bein aufs andere, dann vom anderen aufs eine, während Michaela regungslos am Tresen hing. Nur hier und da, wenn es ihr gelang, sich ein Geräusch einzubilden, fuhr sie herum, rannte ein paar Mal sogar zur Tür, was meine Mutter so erschreckte, dass sie endlich das Bier fallen ließ. Sich tausendmal entschuldigend begann sie, die Splitter aufzulesen und hätte sicher noch eine Weile weiterlesen können, hätte Michaela nicht irgendwann »lass nur«, und dann noch mal bestimmter »lass!«, gesagt.
Meiner Mutter blieb nichts anderes übrig, als wieder auf den Zeiger der Uhr zu glotzen, der mittlerweile rückwärts ging. Sie zappelte herum, wünschte sich sehnlichst die anderen Gäste herbei – und als die dann endlich, endlich, »ääändlich!« kamen, gleich wieder weg.
So lange es gedauert hatte, bis der Erste auftauchte, so schnell ging es, dass man sich kaum noch rühren konnte. Innerhalb einer halben Stunde war das Haus pickepackevoll mit Michaelas Freunden, die meine Mutter alle irgendwie vom Sehen, aber alle sie nicht, dafür einander umso besser kannten. Die einander unheimlich viel zu erzählen hatten, und ihr nicht. Die miteinander rauchten und tanzten, und mit ihr nicht. Die alle völlig gleich aussahen, und anders als sie. Die gleich redeten, über was und auch wie, dieselben Witze machten, dasselbe Lachen lachten und bei jeder Gelegenheit ihre harmlos provokanten Thesen anbrachten.
Sie standen im Grüppchen, Schulter an Schulter, Mund an Ohr, um sich bei dem Lärm zu verständigen, und wollten streitlustig sein. Mehr lustig als Streit. Dann irgendwann gar nicht mehr Streit und nur noch lustig, aber das umso doller, hahahahaha, so sehr, dass sie sich kaum noch einkriegten von all den Dingen, die ihnen auf einmal irre komisch erschienen, vor allem die, die immer ausgerechnet dann hinter, rechts oder links von meiner Mutter passierten, wenn die in die andere Richtung schaute.
Ein Mädchen heulte, und weil es eine Party war, tat sie es mitten im Flur, sodass die Vorbeigehenden über ihr Leid drübersteigen mussten.
»Pubertärer Scheiß«, ächzte meine Mutter.
»Ihr ward halt in der Pubertät«, sagte ich und hielt
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