Fünf Kopeken
konnte, auch wenn die Gründe dafür im Dunkeln blieben. Stattdessen tanzte hinter dem Rücken meiner Mutter mal wieder ein Clown oder sonst was, was zur allgemeinen Belustigung taugte, für was jedoch ebenfalls keinerlei Erklärung gegeben wurde. Meine Mutter lachte ein bisschen mit, woraufhin der Clown offenbar wahre Purzelbäume schlug, so wurde sich ausgeschüttet. Erst als sich nach weiteren zehn Minuten noch immer nichts getan hatte, klopfte sie zaghaft an der Tür, woraufhin der Junge tatsächlich herauskam, allerdings ohne das Mädchen, das stattdessen erneut lautstark zu weinen begann, wofür nun offenbar meiner Mutter die Schuld gegeben wurde. Sodass die sich schließlich dachte, dass sie ja eigentlich auch draußen mit dem Spaßhaben weitermachen könnte.
Sie suchte ihre Weste, die sie irgendwo verloren haben musste, fand sie schließlich unter den Füßen einer Gruppe von Mädchen, die so taten, als würden sie tanzen und sich erst, nachdem sie meiner Mutter mehrfach gegen den Kopf getreten hatten, widerwillig bereiterklärten, einen Moment beiseite zu gehen.
Vor der Haustür türmten sich die Mäntel, die vom Kleiderständer gefallen waren, sich, als meine Mutter sie aufhängen wollte, dann aber doch als noch mehr Menschen entpuppten, die dort vor der Haustür ein Nickerchen machten. Oder vielleicht auch etwas anderes, »wenn ich’s dir sag«, wie sie angesichts meines immer heftigeren Kopfschüttelns hinzufügte, obwohl sie zugeben musste, dass sie damals noch nicht mal genau gewusst hatte, was dieses »andere« überhaupt war – »und es auch gar nicht wissen wollte!« –, sodass sie einen großen Bogen um den Berg aus Wolle und/oder Wollust machte, die Klinke drückte und sich nach draußen schob.
Der Wind klatschte ihr ins Gesicht. Sie lief über die Straße und suchte unter den in den Vorgärten zitternden Tannen nach einem Mäuerchen, auf dem sie ungestört auf meinen Großvater warten könnte. Aber es war viel zu kalt, um sich irgendwo hinzusetzen, fast schon Kasan-kalt, was Letzterer natürlich nicht gelten lassen würde, aber doch zumindest so kalt, dass meine Mutter am nächsten Tag im Krankenhaus ewig würde warten müssen, so oft hatte es auf den spiegelglatten Straßen zuvor geknallt.
Erstmal versuchte sie aber, sich irgendwie aufzuwärmen. Sie lief hin und her, presste die Arme an sich und das Kinn auf die Brust, sie sah ihren Atem, der weiß in der Luft stand, biss Ober- und Unterkiefer zusammen, hörte trotzdem noch, wie ihre Zähne klapperten und dann plötzlich den Lärm, der in die Einfahrt schwappte, die Schritte auf dem Gehweg, das Klimpern der Schlüssel.
Aus den Augenwinkeln sah sie die Lederjacke, die der Junge jetzt wohl wirklich trug und die richtig quietschte, während er »Scheiße, blöde Scheiße blöde!« brüllend an der Autotür riss, sah, wie die schließlich mit einem Krachen aufsprang und ihm entgegen flog, so plötzlich, dass er beinahe wieder hingefallen wäre. Ein wimmerndes Geräusch ertönte. Er verschwand halb im Wagen, kramte fluchend im Handschuhfach, auf dem Rücksitz, unter der Fußmatte, kam endlich hinter seinen Beinen wieder rausgekrochen, eine Parkscheibe in der Hand. Die Kante schrammte über die Scheibe, während er immer weiter und immer lauter »Scheiße!« schrie, wie ein Aufseher auf einer Galeere, der den Takt angeben muss, Schei-ße, Schei-ße, Schei-ße und dann ganz plötzlich »Kannste vielleicht mal helfen?«
Meine Mutter zuckte zusammen.
»Wie?«, rief sie, während ihr vor lauter Schreck, dass er sie bemerkt hatte, ohne dass sie das bemerkt hatte, die Röte ins Gesicht schoss.
»Ob du mal helfen kannst!«, rief er ungeduldig, »wenn du da eh nur rumstehst.«
»Mmh, klar, mmh«, sagte meine Mutter. Sie schaute nach rechts und links, als könne jede Sekunde ein Laster angerast kommen, und lief auf die andere Straßenseite.
Rudi tauchte wieder im Wagen ab und kam mit einer Kassettenhülle zurück. Er zog das Papier heraus, brach die Hülle in der Mitte auseinander und drückte ihr eine der beiden Hälften in die Hand.
Zweifelnd setzte sie das dünne Plastikstück auf der Scheibe auf.
»Feste«, rief er.
Meine Mutter senkte den Kopf und begann so doll zu kratzen, dass die Eisspäne vor ihr in die Luft flogen. Ein paar Minuten rubbelte Rudi auf der andern Seite weiter, dann kletterte er zurück in den Wagen und fummelte am Lenkrad herum, bis sich die Scheibenwischer auf einmal schmatzend aus ihrer Umklammerung lösten.
Meine
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