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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Vorderseite stand eine schnörkellose Fünf. Die Rückseite war so abgegriffen, dass die Schrift kaum noch zu lesen war. Nur mit Mühe ließen sich zwei Ähren erkennen, darunter die Buchstaben CCCP . Die Kette selbst war völlig verrostet. Schon damals, als ich sie gefunden hatte, hatte sie so unangenehm nach Metall gerochen, dass ich mich ein wenig ekelte, sie umzulegen. Aber ich hatte sie trotzdem unter meinem bisschen eigenen Schmuck vergraben, weil ich mir einredete, sie würde meiner Mutter etwas bedeuten. Erst jetzt verstand ich, dass sie das wirklich getan hatte.

3. Kapitel
    Das Einzige, wozu meiner Mutter leider völlig das Talent fehlte, war die Liebe. Sie hielten es einfach nicht miteinander aus. Dafür waren sie einander zu ähnlich. Herrisch. Besitzergreifend. Kompromisslos. Beide nahmen einen völlig in Beschlag, mussten auf Gedeih und Verderb die Oberhand behalten, ganz gleich, wie laut ihnen die Welt entgegenschrie, dass sie im Unrecht waren. Sie zehrten einen aus, bis nichts mehr neben ihnen bestehen konnte, und je heftiger man sich wehrte, je mehr man versuchte, sich ihrem Griff zu entziehen, umso stärker wurde ihr Gift.
    Nach außen hin begegneten sie einander mit größtmöglicher Geringschätzung. Meine Mutter behauptete steif und fest, sie sei kein einziges Mal im Leben verliebt gewesen. Sie habe Menschen kennengelernt, sie gemocht oder auch nicht, meistens nicht, manche doch, weil sie klug waren oder gebildet oder beides, zur Not auch einfach nur witzig, aber immer »weil«, ergo habe sie sich für sie entschieden. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Und manchmal einer von denen auch für sie.
    »Schmetterlinge«, pflegte sie zu sagen, ein Zucken im Mundwinkel vor Vorfreude auf das Augenrollen, das sie am Ende des Satzes ernten würde, »Schmetterlinge gehören in die freie Natur oder noch besser aufgespießt in ein Album, aber mit Sicherheit nicht in den Bauch.« Als sie noch jung und dumm war  – was sie beides nie war  –, habe sie sich wohl eine Weile eingeredet, »dergleichen« zu empfinden. Das habe sich jedoch als Anfängerfehler herausgestellt.
    Die Liebe ließ sie nur in Verbindung mit mir gelten, und selbst da wand sie sich um das Wort wie um eine überquellende Mülltonne. Mit der ihr eignen Lust, Zuhörer vor den Kopf zu stoßen, musste sie jedem auf die Nase binden, dass sie ja eigentlich gar keine Kinder hatte haben wollen. Dass ich ein Unfall gewesen sei, einer von der übelsten Sorte. Dass ich heute genauso gut mit dem netten kinderlosen Pärchen aus Rügen, deren Akte ihr die Dame von der Adoptionsagentur wärmstens ans Herz gelegt habe, Krabben pulen könnte. Dass es ihr, hätte ich mich nicht als so »angenehme Gesellschaft« entpuppt, ja im Traum nicht einfiele, mich den ganzen Tag mitzuschleppen, nur weil ich neun Monate mit ihr die Magensäfte geteilt hatte. Für so was gäb’s heutzutage ja Ganztagsbetreuung, das einzig Gute, was die Ossis mitgebracht hätten, haha.
    Die Wahrheit war, dass sie es kaum einen halben Tag ohne mich aushielt. Es kam immer wieder vor, dass sie mich früher von der Schule abholte, weil sie mir ganz dringend von einem Bericht erzählen musste, den sie in der Mittagspause gelesen hatte. Oder weil sie hören wollte, was ich über das neue Dawkins-Buch dachte, dass sie mir auf den Küchentisch gelegt hatte. Selbst als ich schon lange ausgezogen war, stand sie manchmal plötzlich vor meiner Tür, zwei Karten für irgendeine Premierenvorstellung in der Hand, die wir zusammen hassen sollten. »Schuhe an, dein komisches Geschminks kannste im Auto machen. Ich fahr langsam in den Kurven«, rief sie und schnappte sich meine Handtasche, bevor ich widersprechen konnte. Aber ich erinnere mich an genau ein Mal, dass sie sagte, dass sie mich liebt.
    Die Liebe wiederum strafte meine Mutter mit Missachtung. Während sie die anderen Mädchen von einer Gefühlswallung zur nächsten trieb, so dass einer sie eigentlich nur ein bisschen scheiße behandeln musste, damit sie ihm ihr Herz hinschmissen, schien meine Mutter gegen die kuhäugig glucksende Glückseligkeit gefeit, für die sie die Liebe hielt.
    Als die dann endlich doch zuschlug, und diesmal richtig, mit voller Kraft, dabei so gut getarnt, dass sie mit bloßem Verstand nicht zu sehen war, traf sie meine Mutter völlig unvorbereitet. Das ist wie mit den Windpocken. Wenn man die nicht beizeiten hinter sich bringt, geht man fast daran ein. Sie wusste nicht, wie umgehen, mit der Angst und Sehnsucht

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