Fünf Kopeken
Straße. »Wenn ich so viel Geld hätte, ich sag dir …« Er lachte laut auf.
Sie wartete, dass er weitersprechen würde, aber er schüttelte nur den Kopf. Der Wagen rollte auf die Autobahnauffahrt.
»Was dann?«, fragte meine Mutter. »Was würdest du machen, wenn du soviel Geld hättest?«
Er drehte sich überrascht zu ihr und wieder weg. »Keine Ahnung!«, sagte er. »Wahrscheinlich spenden.«
»Ach was?«, sagte meine Mutter. Aber das Lachen, auf das sie gewartet hatte, blieb aus. Stattdessen schnalzte er mit der Zunge und nickte, als verpasse er sich selbst ein Häkchen.
Meine Mutter runzelte die Stirn. »Wem denn?«
Er blies die Backen auf. »Ppppch«, machte er, »keine Ahnung. Afrika, denk ich.«
»Ach, Afrika«, sagte meine Mutter.
»Ja«, sagt er und nickte sich zu.
»Und wem da?«
»Ppppch«, machte er, »am besten allen. Denen geht’s so dreckig, das kannst du dir gar nicht vorstellen.« Sein Daumen trommelte wieder los. »Der weiße Mann ist da einfach reinspaziert, hat den Kontinent ausgeplündert und jetzt, wo sie da unten verhungern, ist er sich zu fein, sein Schnitzel zu teilen.« Er ruckelte am Schaltknüppel, ohne den Gang zu wechseln.
Meine Mutter betrachtete seine Fingernägel, die von winzigen, weißen Punkten übersäht waren. Vielleicht isst er nicht genug Obst, weil er es den Kindern in Afrika nicht wegnehmen will, dachte sie und schaute wieder aus dem Fenster, zu den Pflöcken am Seitenstreifen, versuchte, immer dann die Zähne zusammenzubeißen, wenn einer von ihnen vorbeiflog.
»Woher kennst du denn die Michaela?«, fragte er plötzlich.
Meine Mutter drehte sich um. »Wir gehen zusammen zur Schule.«
»Aufs Gym? Ja, da war ich auch.«
»Ich weiß.«
»Ach echt?« Er lächelte ein wenig, dann wanderte sein Blick zum Rückspiegel, unter dem ein Duftbäumchen in der Form einer Erdbeere zitterte. »Dir ging’s heut Abend nicht so gut, he?«
»Mhm.«
»Ja, das dacht ich mir. Ich bin jemand, der sieht so was«, sagte er, ohne sie anzusehen, »das sagen alle.« Vor ihnen tauchten zwei Lichter auf. Rudis Gesicht schimmerte blutrot. »Versteh ich total. Seit ich auf der Uni bin, kann ich mit diesem Kindergarten auch nichts mehr anfangen.«
»Was studierst du denn?«
»Das Leben.« Er setzte den Blinker und zog an den Bremslichtern vorbei nach links, lachte in sich hinein. Der Kragen hüpfte auf seinen Schultern.
Nein, fuhr er fort, offiziell studiere er BWL , seinen Alten zuliebe, die darauf bestünden, dass er »was Gscheites« lerne, für später. »Später. Immer später. Was ist denn mit jetzt?«, rief er und zog zurück auf die rechte Spur. In Wahrheit sei er Fotograf. Kunst, nicht Mode. Nichts für ungut, gell? Aber die ganze kommerzielle Scheiße kotze ihn an. »Das kotzt mich an«, sagte er und steckte den Finger in den Mund, damit auch keine Missverständnisse aufkamen. An der Uni habe er endlich Leute gefunden, die genauso dächten wie er. »Die haben auch keine Lust, sich in ein Hamsterrad sperren zu lassen. Das sind Leute, die was machen wollen«, er drehte sich zu ihr, »was verändern.«
»Schon was verkauft?«, fragte meine Mutter, was, wie er ihr erklärte, jedoch die völlig falsche Frage war. Vielmehr sei die Verweigerung jeglichen kommerziellen Erfolgs geradezu die Voraussetzung künstlerischen Vorankommens. Es gehe ihm nicht darum, etwas her-zu-stellen. »Ich bin kein Rädchen im Getriebe.« Kunst, die pro-duziere, sei ein schwarzer Schimmel. »Nur wer bereit ist, auf materielle Anerkennung zu verzichten, kann sich freimachen von den Erwartungen der Gesellschaft und etwas tatsächlich Neues schaffen.« Und seine Jungs an der Uni, die wüssten das zu schätzen. Die wüssten auch, der Rudi, »der ist vielleicht ein bisschen ver-rückt, aber Mann, der traut sich was.«
Es gefiel ihm sehr, Worte in ihre Silben zu zerlegen, um den »Mann auf der Straße« an ihre ur-sprüng-liche Bedeutung zu erinnern. Den liebte er noch mehr. Besonders den kleinen, auch wenn er dem, wie er einräumen musste, vor allem in der Zeitung begegnete, weil sein Vater darauf bestanden hatte, ihm eine eigne Wohnung zu kaufen, anstatt ihn in einer Kommune »leben zu lassen.« Ihm selbst bedeute Geld ja nichts. Ganz anders als seinen Alten, die ja schon einen riesen Terz machten, wenn er mal ein paar »Kröten« für Benzin wolle.
Meine Mutter saß schweigend da, dachte daran, wie sie das alles später meinem Großvater nacherzählen würde, während er immer weiter redete, über die
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