Fünf Kopeken
presst, als wolle sie die Rippen damit eindrücken. Links steht Uwe, der wirklich sehr gut und sehr, sehr unbehaglich aussieht, und mittendrin meine Großmutter, »weil jetzt haben wir schon eine mit Selbstauslöser anschaffen müssen, dann können wir sie auch mal benutzen.« Die eine Hand hat sie um die Hüfte meiner Mutter gelegt, mit der anderen klammert sie sich so fest an Uwes Arm, als wolle sie nicht nur den Moment, sondern auch ihn für die Ewigkeit festhalten.
Als die beiden das Haus endlich verließen, war das Unbehagen auf ein Niveau gestiegen, das sich auch durch die Unmengen Alkohol, die Uwe in den folgenden Stunden in sich hineinschüttete, nicht mehr senken ließ.
Meine Mutter wartete geduldig, dass sein Durst gestillt und er so weit sei, mit ihr zu sprechen. Aber hier in dieser Bar, in der ihn seine Freunde stirnrunzelnd beobachteten, hatte er ihr nichts mehr zu sagen. Und zuhören wollte er auch nicht so richtig. Nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten, kam irgendeiner rüber, schrie »Mach mal den Uwe!«, und Uwe machte.
Es lief Hot Chocolate. Uwe kletterte auf den Fußballkicker, ließ die Hüften kreisen und hielt sich die Bierflasche wie ein Mikro an den Mund.
Der Wirt ließ die Platte noch einmal laufen. Uwe willigte ein, sich die Wangen mit Edding zu schwärzen, woraufhin ein anderer laut kreischend vorschlug, ihn bei der nächsten Zugabe mit Klopapier einzuwickeln. Als er die Hose runterließ, bezahlte meine Mutter und erreichte gerade noch den letzten Bus nach Hause.
Zum Glück waren meine Großeltern zum Essen eingeladen, sodass sie weder Strafe noch sonst wem ins Gesicht sehen musste. Ein, zwei, drei Stunden las sie. Dann klingelte es plötzlich an der Tür. Uwes Augen waren unter dem Schatten der Brauen kaum zu sehen. Er stehe hier, weil auf sie. Er sei so dumm, so dumm, so dumm. Sein Hemd war falsch geknöpft. So dumm sei er. Sooo dummm.
Meine Mutter fragte ihn, ob er nicht reinkommen wolle. Er wollte. Sie machte ihm noch einen Tee, den er wiederum nicht anrührte, weil ihn das dabei behindert hätte, sich immer wieder selbst zu verwünschen, bis er endlich auf den Boden ihres Zimmers sackte und dort mit ausgestreckten Armen liegen blieb wie der Jesus am Kreuz. Meine Mutter ging neben ihm in die Hocke und fühlte sicherheitshalber seinen Puls, woraufhin er sich in Embryonalhaltung um ihre Hand kauerte. Wimmernd begann er von dem Unglück zu reden, für das er trotz heftiger Suche keine rechten Worte fand. Meine Mutter hatte einen kurzen Anfall von Mitleid, der ihr Gesicht an seine schwarze Wange drückte und Zuneigung schon sehr ähnlich sah, jedoch schnell abklang, als sie bemerkte, wie er seinen Rotz hinter ihrem Rücken am Teppich abwischte. Sie erhob sich und wollte ihn schon bitten, zu gehen, aber er sprang auf und begann sie wieder zu küssen, schob sie schließlich auf die Tischkante und sich zwischen ihre Beine. Als sie merkte, wie die Häkchenliste unter ihrem Po knitterte, spürte sie fast so etwas wie Lust aufkommen.
Sie stolperten weiter zum Bett, küssten sich verbissen aneinander ab, aber jetzt, wo der Kaba- durch Biergeschmack ersetzt war, machte es nicht mehr ganz so viel Spaß. Meine Mutter drückte den Rücken durch und die Augen zu, schob sich ihm entgegen, zog schließlich selbst seine Hand auf ihre Brust und fragte ihn, ob er sich und/oder sie nicht vielleicht mal ausziehen wolle. Er wollte. Konnte aber leider nicht. Ob sie ihm nicht gefalle? Doch, doch, sehr sogar, erwiderte er, als würde er einen Waschlappen auswringen. Vor lauter Scham machte sie sich an seinem Reißverschluss zu schaffen. Aber es nützte nichts. Er küsste noch ein wenig an ihrem Nacken rum. Dann rutschte er kleinlaut etwas von meinen sicherlich bald zurückkehrenden Großeltern murmelnd vom Bett und ließ meine Mutter mit ihrer handwarmen Lust allein.
»Gefällt mir, dein Uwe«, sagte meine Großmutter beim Frühstück und las zum Beweis ihr Horoskop vor, auch wenn sie, wie sie meinem stöhnenden Großvater gekränkt erklärte, den Unterschied zwischen Astronomie und Astrologie selbstverständlich kenne. »Aber ich kann mir ja nicht gleich ein Teleskop kaufen!«
In der Schule fiel der gemeinsame Unterricht aus. Der Biolehrer hatte sich in einem seltenen Anflug von Motivation verstiegen, Pilze zu sammeln und beim anschließenden Verzehr vergiftet. Als er nach einer Woche genesen war, erkrankte Uwe an einer Mandelentzündung, die es ihm unmöglich machte, zu sprechen, zumindest
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