Fünf Kopeken
in der Schule verrieten ihm, dass etwas nicht stimmte, wie ein Kulifleck im Mundwinkel, den alle sehen außer einem selbst.
Sein Ego konnte mit der plötzlichen Beliebtheit nicht Schritt halten. Er schwieg, behandelte die Mädchen, die ihm mit klappernden Lidern nachliefen, wie Luft. Vor lauter Unsicherheit wurde er arrogant. Und das kam natürlich noch besser an.
Meine Mutter und er hatten Bio Leistung zusammen, eins der wenigen Fächer, in denen sie ohne Babsi auskommen musste. Uwe wusste fast alle Antworten, aber anders als meine Mutter behielt er das mal schön für sich. Den Mund machte er nur auf, um irgendwelchen Schwachsinn in den Raum zu brüllen, was wiederum bei den Jungs sehr gut ankam. Man dachte sich alle möglichen Aufgaben für ihn aus, wie die, die Französischlehrerin zu fragen, wie man »Cunnilingus« buchstabiere, oder dem Hausmeister den nackten Hintern aus dem Fenster entgegenzustrecken. Manchmal wartete man auch, bis ein Mädchen um die Ecke kam, das er anwhaaa!!!en konnte. Und der arme, hübsche Uwe hatte so einen Schiss, mit dem Liderklappern allein zu bleiben, dass er den ganzen Unfug mitmachte. Er wurde zum Draufgänger aus Furcht. Aber wahrscheinlich trifft das auf jeden Draufgänger zu.
Vielleicht war es diese Ängstlichkeit, die meine Mutter von ihrer Mutter her kannte und sie irgendwie anzog. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie das einzige Mädchen weit und breit war, das nicht heimlich unheimlich in ihn verliebt war. Auf jeden Fall begannen die beiden eines Tages auf dem Weg zum Bus, sich zu unterhalten und fanden sich fernab aller Beobachtung wohl ganz nett, vielleicht auch nur harm- beziehungsweise alternativlos. Wiederholten das ganze ein paar Mal. Und schafften schließlich, was unter den gegebenen Umständen schon an ein Wunder grenzte: Sie verabredeten sich, wenn auch erstmal noch unter dem Deckmantel eines angekündigten Tests. Man traf sich zwei, drei, vier Mal zum Lernen und tat es wirklich, beim fünften redeten sie über das Universum, beim siebten schon fast gar nicht mehr, weil sie immer deutlicher merkten, dass sie auf verschiedenen Seiten des Geschlechtergrabens standen. Am Ende des neunten nahm er sie mit auf den Balkon, um die Sterne zu beobachten, was meine Mutter, wenn sie ehrlich war, etwas albern fand. Und, wenn sie noch ehrlicher war, auch ganz schön romantisch.
Kurz bevor mein Großvater sie abholte, drückte er dann seine Lippen auf ihren Mund. Sie fühlten sich noch dicker an, als sie aussahen, aber gut. Seine Zunge schmeckte nach dem Kaba, den sie getrunken hatten, und währenddessen fragte meine Mutter sich die ganze Zeit, ob sie wohl genauso gut schmeckte.
In der Schule behandelte er sie weiterhin wie Luft. Die Voraussetzungen waren also vielversprechend, trotzdem wollte meine Mutter sich auch diesmal nicht so recht verlieben. Nach ein paar Tagen hatte sie die Sache fast vergessen, während sich Uwe, ganz zerfressen von schlechtem Gewissen, kaum traute, zu ihr rüberzusehen. Nach dem Unterricht ging er dreimal zurück ins Schulgebäude und suchte nach dem Schlüssel, der in seiner Tasche steckte, bis meine Mutter endlich herauskam. Er lief schweigend neben ihr her, starrte ihr Gesicht im Busfenster an, während sie den Finger die Formelreihen hinabgleiten ließ, ohne ihn auch nur ein einziges Mal anzusehen – was bei ihm im Gegensatz zu ihr sofort Wirkung zeigte. Kurz bevor sie den Knopf zum Aussteigen drückte, fragte er sie, ob sie ihn am Wochenende in seine Stammkneipe begleiten wollte.
Er holte sie ab. Meine Großmutter, fast selbst ein bisschen verlegen bei Uwes Anblick, bestand darauf, ihm einen Tee zu machen, den er jedoch nicht trank, dann zumindest auf ein Beweisfoto, das ebenfalls seinen Weg in das Album gefunden hat: Meine Mutter ist rechts im Bild, das Gesicht so fettig, als habe sie es mit einem Stück Butter eingeschmiert, den Mund von Pickeln umzuckert, die sie natürlich nicht in Ruhe gelassen, sondern in blinder Wut rot und eitrig gequetscht hatte. Pünktlich zum ersten Rendezvous hatte sich die Pubertät aus dem Würgegriff meiner Großmutter befreit. Auf den nackten Waden sind lange, schwarze Härchen zu sehen. Darüber trägt sie wieder irgendein Schneider-Kleidchen, für das es mittlerweile wenigstens heiß genug war. Aber eigentlich war meiner Mutter jetzt ohnehin immer heiß. Das Schwitzen hatte begonnen. Und das Riechen auch, was man auf dem Foto zwar nicht sieht, wohl aber die Ellenbogen, die sie so fest an den Körper
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