Fünf Kopeken
fiel ihr jedoch beim besten Willen niemand ein, der sich dem Problem hätte annehmen können, sodass sie bis auf weiteres erstmal Jungfrau blieb. Und auch sonst völlig unbedarft. Das bisschen, was sie bis zu ihrem 17. Lebensjahr über Sex wusste, roch nach Schweiß und nasser Katze, und nahm sich so abartig aus, dass man es normalen Menschen eigentlich nicht zutrauen wollte. Daran änderte auch Babsi nichts, die sich eifrig mühte, meine Mutter davon zu überzeugen, »dass das schon irgendwie Spaß« mache. Und manchmal ginge es ja auch so schnell, dass man’s gar nicht richtig merke.
Sie erzählte gern von den Jungs, die vorbeikamen, wenn ihre Eltern beim Bridge waren. Denen, bei denen ihr nicht mal die Zeit blieb, die Hose ganz runterzuziehen, und denen, die schon etwas älter waren und sie auch danach noch küssten. Sie saß auf dem Bett, ein Kissen im Arm zur Veranschaulichung, und meine Mutter hörte und sah aufmerksam zu, als lerne sie für eine Klausur. Manchmal schlief sie danach da und wurde mitten in der Nacht davon wach, dass Babsis Eltern nicht mehr Bridge spielten. Dann lag sie da, erstarrt von Abscheu und Neugier, und stellte sich vor, wie das wohl sei, es .
Wollen tat sie nicht. Aber nicht Wollen noch viel weniger. Das bedeutete nämlich, dass man »frigide« sei, wie sie der von Babsi geliehenen Einstiegsliteratur entnahm. Was das genau bedeutete, wusste sie nicht. Aber es klang gar nicht gut, konnte also nicht auf sie zutreffen. Die Artikel, auf deren Fotos die Leute so nackt waren, dass meine Mutter zum Ansehen sogar die Taschenlampe ausmachen musste, wimmelten nur so von Wörtern, die sie weder verstand noch im Brockhaus Taschenlexikon fand.
Das Interessanteste waren jedoch die Zusendungen von Lesern, die alle wie Charaktere aus einem 5-Freunde-Roman hießen und vor »Geilheit« ganz verrückt wurden. Die meisten waren so was von geil, dass sie sich alle möglichen Gegenstände »reinsteckten«, wohin genau, wusste meine Mutter nicht. Auch hier versagte das Lexikon. Klar war nur, dass die ganzen Bananen und Gurken das Ziel verfehlten, denn im Anschluss waren die Absender sogar noch geiler, so dass sie mit der kompletten Fußballmannschaft schlafen mussten und am nächsten Morgen schwanger waren.
Das Thema Jungfräulichkeit kam hingegen kaum zur Sprache und schien tatsächlich nur etwas für Mädchen zu sein, die auf irgendwas warteten, meistens die große Liebe, der sie ihren Körper zum Geschenk machen wollten.
Meine Mutter hatte nichts zu verschenken. Und wenn, wäre es mit Sicherheit kein Fetzen zerrissener Haut gewesen. Je mehr sie von dem Getuschel zu verstehen begann, desto deutlicher trat ihr Wissensrückstand zutage. Das konnte sie natürlich nicht auf sich sitzen lassen. In ihrer Welt waren Un-s auf ihren semantischen Wert reduziert: Un-wissen, Un-vermögen, Un-sinn – Unschuld. Je länger sie mit ihrer blöden Keuschheit durch die Gegend lief, desto unfertiger kam sie sich vor. In ihrer Verzweiflung versuchte sie einmal sogar selbst, einem Jungen ein Lächeln zuzuwerfen, an was sie sich mit derartigem Schrecken erinnerte, dass sie nicht auf die Schnapsidee kam, so was noch mal auszuprobieren.
Und dann kam Uwe.
»Na wenn er denn mal gekommen wär!«, rief meine Mutter, das natürlich schon wieder am Ende und auch nur, weil der Arzt gerade dagewesen war und sie es wohl nicht schnell genug geschafft hatte, von einem Modus in den anderen zu schalten. Sie hatten sich mal wieder köstlich amüsiert mit ihrem Bauerntheater – »Küss die Hand, junge Frau « /»Wieso denn die Hand, Herr Doktor?« –, und als er ging, war sie so albern gestimmt, dass ich mir nicht sicher war, ob ich davon genervt sein durfte oder mich freuen musste, weil es ihr ja offenbar wenigstens gut ging.
Uwe war wohl ziemlich klug, was aber fast niemand wusste, weil er so unheimlich gut aussah, was wiederum meine Mutter nicht wusste. Sie sah nur die schmalen, dicht beieinander stehenden Augen, über denen sich richtiggehende Augenbrauenwülste aufstauten, die Boxernase, diese Lippen, die immer ein wenig so aussahen, als hätte jemand mit einem Brett darauf gehauen. Als sie merkte, wie sehr er angehimmelt wurde, fühlte sie sich fast ein bisschen betrogen, als habe er sie absichtlich in die Falle laufen lassen. Dabei ging es diesem Uwe wohl genauso. Das gute Aussehen war ohne Vorwarnung über ihn gekommen. Eines Morgens war es plötzlich dagewesen, ohne dass er es bemerkt hatte. Erst die Blicke der Mädchen
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