Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
Vom Netzwerk:
und war so durch und durch schön, nicht hübsch, schön!, dass ihr der Blick für die Hässlichkeit völlig fehlte. Selbst für die meiner Mutter.
    »Du spinnst«, rief sie, als die sich kurz vorm Abstillen der letzten Eitelkeit einen Pony schneiden lassen wollte, um ihre Augen dahinter zu verstecken. Und dann, als sie es wirklich und auch gleich selbst tat, gleich noch mal: »Ach Quatsch, sieht spitze aus«, und »steht dir super!«
    Zum anderen war Babsi die Art von Mensch, der niemals Pläne macht. Nicht sie lebte ihr Leben, ihr Leben lebte sie. Auf dem Ball nach dem Abitur, das sie nur deshalb bestand, weil sie während der Geschichteklausur zufällig einen fremden Spickzettel auf der Toilette fand, betrank sie sich so hemmungslos, dass sie von der Bühne fiel, direkt in die Arme des Schlagzeugers, der sie erst zu sich nach Hause mit- und dann in seine Band aufnahm. Sie bekam ein Mikro in die Hand gedrückt, wackelte mit den Hüften und lernte ihrem schönen Mund ein genauso rundes »Uh-hu« zu entlocken. Ein paar Monate tourten sie durch die Gegend, bis Babsi auf der letzten Station einen angehenden Regisseur derart von den Socken uhte, dass er ihr eine Rolle in seinem Film anbot. Sie zog nach Paris, schlief mit sehr vielen, sehr viel älteren Männern, lernte auch auf Französisch zu ühen und versuchte sich an irgendeiner Modedroge, die sie endlich in eine Entziehungsklinik brachte und Babsi den dortigen Leiter um den Verstand.
    Nachdem wohl auch diese Beziehung zerbrochen war, schlief sie mal ein paar Tage bei uns auf der Couch. Ich war damals erst vier oder fünf. Das Einzige, woran ich mich noch erinnern kann, ist, dass sie stundenlang mit meiner Mutter in der Küche redete. Manchmal hörte ich sie nachts weinen. Aber wenn ich morgens aufwachte, war das Laken immer schon abgezogen und im Geschirrständer tropften zwei Weingläser.
    Erst als sie auf der Beerdigung am Arm eines Mannes durchs Friedhofstor schritt, den sie mir als eben jenen, wenn auch zwischenzeitlich pensionierten Klinikleiter vorstellte, verstand ich, dass es nicht Babsis Trauer war, die sich damals unter dem Türspalt in mein Zimmer geschoben hatte. Dass die Tränen in Wahrheit meiner Mutter gehört hatten. Dass es deren gebrochenes Herz war, das nicht heilen wollte. Ihre Wunden, die immer wieder aufrissen, wenn sie mich ansah, dieses Gesicht, das sie umso mehr an ihn erinnerte, je weniger ich ihm ähnelte.
    Einen Moment überlegte ich, Babsi darauf anzusprechen. Aber ich wollte ihr kein Verständnis abnötigen, das ich nicht mehr brauchte. Stattdessen nahm ich ihren anderen Arm und ließ mich von ihr zum Grab begleiten, weil ich meine Großmutter, die mit ihren 86 Jahren nicht müde wurde, die Knäuel schwarzer Mäntel abzuklappern und Beileidswünsche einzusammeln wie Kinder Bonbons an Fasching, alleine nicht ertragen konnte. Ich genoss es, sie an meiner Seite zu haben, auch wenn sie, wie sich während des Leichenschmauses zeigte, tatsächlich etwas einfach gestrickt war, dabei aber doch so liebenswürdig und sanft und weich, dass ich nicht aufhören konnte, mich zu wundern, dass meine Mutter sie gemocht hatte. Und umgekehrt natürlich sowieso.
    Glaubt man dem Gründungsmythos, den die beiden einander immer wieder vorkauten, war es eben diese Gegensätzlichkeit, auf der ihre Freundschaft fußte. Für Babsi mag das sogar stimmen. Sie bewunderte meine Mutter dafür, wie begabt sie war und wie klug, was sie alles wusste (alles) und konnte (noch mehr), fand sogar diese ganze Hasserei irgendwie lustig, vielleicht weil sie selbst, die von so vielen gemocht wurde, dass sie niemanden nicht mögen brauchte, sich so wenig damit auskannte.
    Aber bei meiner Mutter lag der Fall viel einfacher. Babsi war nicht ihre beste Freundin. Babsi war ihre einzige Freundin. Nicht mal das. Sie war die Einzige, die überhaupt mit ihr sprach. Und es war sie, die ihr endlich jene Dinge erklärte, die sowohl mein Großvater als auch all die Bücher bisher ausgespart hatten.
    Meine Mutter war so entsetzt, dass sie meiner Großmutter eine Woche lang nicht mehr in die Augen schauen konnte. Sie beschloss, so lange sie lebe, nie, nie, nie einem Mann zu erlauben, so etwas mit ihr zu machen. Erst als Babsi sie einige Monate später im Flüsterton fragte, für wen sie sich denn eigentlich aufspare, Gott oder die Ehe, änderte meine Mutter ihre Meinung und entschied, dass es dann doch das Beste sei, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Unglücklicherweise

Weitere Kostenlose Bücher