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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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die Mundwinkel in einem neuen, nach Luft ringenden Tränenschwall nach oben.
    »Nicht doch«, rief Uwe, »wer wird denn so einem nachweinen! Du hast was Besseres verdient!« Er strich ihr eine Strähne von den Wangen und ließ seine Hand gleich da, aber Babsi wollte nicht aufhören zu weinen.
    »Es ist nicht nur das«, hauchte sie, »in letzter Zeit geht einfach alles schief. Meine Eltern machen mir voll den Stress wegen der Schule. Ich kann machen, was ich will, nie ist es ihnen gut genug«, ihre Lippen glänzten, »und  … und  … «, sie schaute sich um, als hoffte sie, noch ein bisschen mehr Pech zu finden, sackte dann aber doch zurück auf die Eckbank, diesmal zur anderen Seite.
    »Na, na«, sagte Uwe wieder und kam ihr nach, »das wird schon wieder.« Er fuhr mit dem Arm unter ihren Rücken und zog sie an seine Brust. Babsi drückte den Kopf in seine Schulter und ließ sich hin und her wiegen, während sie in unregelmäßigen Abständen »ich halt das alles nicht mehr aus« flüsterte.
    Meine Mutter zog selbst ein Kleenex aus der Packung, wischte sich über die heiße Stirn, während Babsi ihr gestohlenes Leid an Uwes Pullover abrieb. »Ach du«, sagte er, und sie musste hilflos zusehen, wie er sich direkt vor ihren Augen wegverliebte.
    Und das war’s.
    Hätte es zumindest sein können, wenn meine Mutter mal so gnädig mit sich gewesen wäre, einfach zu gehen. Stattdessen stellte sie die Packung auf den Tisch und setzte sich wieder neben die beiden, die sich mit weichen Stimmen unterhielten, wie zwei Menschen, die nach schwerer Krankheit zum ersten Mal aufstehen, während sie dem Film immer enger aneinandergekuschelt nicht folgten. Meine Mutter sah alleine zu, wie Bambi mal wieder irgendwen vermöbelte. »Machst du das noch mal, mach ich aus deinen Ohren Wäschetrockner«, rief er und steckte die Pistole ins Holster. Dann schoben sich wieder Terence Hills Augen ins Bild, die wirklich ganz schön waren, obwohl sie doch lieber dem Glasaugenbarsch beim Laichen zugesehen hätte. Aber der war jetzt wahrscheinlich eh schon tot. Nur sie harrte immer weiter dem Ende entgegen, zog ihr Elend in die Länge. »Trotz.« »Stolz.« Aber das hatten wir ja auch schon.
    Erst als die ARD -Sprecherin die Schalte zu den Tagesthemen nach Hamburg ankündigte, erklärte meine Mutter, dass sie dann mal gehen würde.
    »Ich bring dich«, sagte Babsi.
    »Ich komm mit«, sagte Uwe.
    Es war Sommer und noch immer fast hell draußen. Sie nahmen einen Feldweg, eine Abkürzung, die sie und Babsi mal entdeckt hatten, wie Babsi dem Uwe mal einfach so erzählte.
    »Echt?«, fragte der.
    »Echt«, sagte Babsi. Sie zog den um ihre Hüfte geknoteten Pullover über. Im Licht der untergehenden Sonne konnte man noch immer ein paar funkelnde Tropfen sehen, die sich hartnäckig an ihre Wangen klammerten. Uwe schob ihr das Etikett nach innen.
    »Das kitzelt«, kicherte Babsi und schüttelte sich. Meine Mutter lief schneller.
    Der Himmel war rosa. Auf den Feldern blühte der Tabak, Ähren im Wind, ein Häschen am Wegrand, das über die Maulwurfshügel flüchtete. Wäre das Ganze ein Gemälde in einem Hotelzimmer gewesen, meine Mutter hätte es sofort abgehängt.
    Uwes Haus war das erste, aber keiner von ihnen machte auch nur den Versuch, so zu tun, als seien sie noch drei, nicht zwei und einer. Sie liefen an der Gabelung vorbei, meine Mutter ein Stück voraus, sodass sie das Wimmern als Erste hörte. Aber natürlich war es an Babsi, ein paar Sekunden später zusammenzufahren und »was war das?« zu rufen. Sie riss die Augen auf und quetschte Uwes Hand, die irgendwie in ihre gekommen war, wann genau wusste meine Mutter nicht. Er drehte sich hin und her, rang sich endlich durch, Babsis Finger loszulassen, die wie in einem Liebesfilm mit zu vielen Sonnenuntergängen in der Luft hängen blieben, und machte ein paar unentschlossene Schritte auf den Grasstreifen.
    »Ich glaub es kam von da drüben«, rief meine Mutter und lief an ihm vorbei. Sie bog die Tabakstauden auseinander, quetschte sich zwischen den langen, runzligen Blättern durch, bis sie plötzlich gegen etwas Hartes stieß. Die Apfelkiste war fast völlig von blassrosa Blüten bedeckt, die sich am Rand schon bräunlich nach oben rollten. Erst als Uwe, der mit Babsi hechelnd hinterher gewatet kam, vorsichtig gegen eine Latte trat, blitzten die Zitzen auf.
    Babsi stieß einen Schrei aus.
    Meine Mutter beugte sich über die Kiste und schob die Blüten beiseite. Die Katze lag auf dem Rücken. Ihre

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