Fünf Kopeken
mit meiner Mutter. Er kam ihr nicht zu nah, und sie ging wieder allein zum Bus, wo sie sich ganz nach vorne setzte, weil: »Wenn einer nach hinten muss, dann ja wohl der!«
Wahrscheinlich hätten sie nie wieder ein Wort miteinander gewechselt, hätte Babsi meine Mutter nicht überredet, dem Unterfangen noch eine Chance zu geben. Zu deren Ehrenrettung sei gesagt, dass das Bild, das sie sich von den Geschehnissen machen konnte, wahrscheinlich kein ganz vollständiges war. Bei dem Talent, mit dem meine Mutter fast schon mechanisch Verletzungen aus ihren Geschichten tilgte, darf man Babsi durchaus zugestehen, dass sie tatsächlich glaubte, es bestünde noch Hoffnung.
Man entschied, sich in der Gruppe zu treffen, ein Filmabend bei Babsi, deren Eltern sich dank eines glücklichen Blatts für die Landesmeisterschaften qualifiziert hatten und fünf Tage außer Haus weilen würden. Uwe, den man über die Anwesenheit meiner Mutter in Unkenntnis gelassen hatte, »um ihn zu überraschen!« (Babsi), »um nicht zu riskieren, dass er gar nicht kommt!« (meine Mutter), wurde unter einem Vorwand von dem Jungen mitgeschleppt, mit dem Babsi den doppeltglücklichen Erfolg ihrer Eltern eigentlich zu feiern gedacht hatte. Kurz nachdem Bambi und Trinity dem fiesen Parker begegneten, geriet sie jedoch mit ihm in Streit und machte über einer Schlägerei, bei der die vier Fäuste mal so richtig im Saloon aufräumten, schließlich Schluss, woraufhin der Junge türeknallend aus dem Haus lief. Die drei blieben allein zurück, meine Mutter am einen Ende der Eckbank, Uwe, dem vor Schreck, sie zu sehen, gleich wieder die Mandeln angeschwollen waren, am anderen Ende, im Knick Babsi, deren Lippen mit jeder Minute mehr zu zittern begannen.
»Alles klar?«, murmelte meine Mutter, was mit einem schwächlichen Nicken bejaht wurde, sodass sie sich wieder dem Film zuwendete, den Babsi unbedingt hatte sehen wollen, obwohl im Dritten eine Dokumentation über das Laichen des nordamerikanischen Glasaugenbarsches lief, aber: »So schön kucken wie der Terence Hill kann der bestimmt nicht.« Der schien Babsi jetzt jedoch überhaupt nicht mehr zu interessieren. Sie starrte knapp einen halben Meter unter dem Fernseher hinweg. Ihre Augen wurden noch größer. Dann kullerte eine kugelrunde Träne ihre Wange hinab.
Babsi konnte sehr schön weinen. Meine Mutter nicht. Nicht nur nicht schön, sondern gar nicht. Und mit Weinenden umgehen, das konnte sie noch weniger. Sie drückte sich noch weiter ins Eck und sah irritiert zu, wie es in Babsis Ausschnitt tropfte, fuhr endlich einen Finger aus und ließ ihn zaghaft über Babsis Schulter streichen.
Der zitternde Körper kippte zur Seite, als sei alle Muskelkraft aus ihm gewichen, sackte gegen Uwe, der überrascht den Arm wegzog, um Babsis Kopf Platz zu machen, der direkt auf seinen Oberschenkel fiel. Er sah meine Mutter fragend an, zum ersten Mal an diesem Tag, nicht nur fragend, sondern überhaupt, aber die behielt nur ihren gekrümmten Finger in der Luft und schüttelte den Kopf.
»Na, na«, sagte er, was Babsi noch mehr zum Weinen brachte.
»Warum passiert mir so was nur?«, stammelte sie. Ihre Wimpern schlossen sich über den feuchten Augen und klappten glitzernd wieder auf.
Uwe hob vorsichtig ihren Kopf ein Stück an und strich ihr Haar darunter hervor. »Weißt du vielleicht, wo die die Taschentücher haben?«, flüsterte er meiner Mutter zu, als sei ihre Anwesenheit noch immer ein Geheimnis.
Meine Mutter wusste es nicht, kletterte aber trotzdem über die beiden hinweg und ging in die Küche. Sie öffnete Schubladen, suchte im Bad, fand endlich im Elternschlafzimmer, halb unterm Bett versteckt, eine Packung Kleenex.
Als sie zurückkam, lag Babsis Kopf wieder sanft auf Uwes Schoß gebettet, als gehöre er genau dorthin. Mit der einen Hand streichelte er ihren Rücken, mit der anderen irgendetwas anderes, »so genau wollt ich schon gar nicht mehr hinkucken.«
»Ich hab ihm doch nichts getan«, schniefte Babsi, »und dann lässt der mich einfach stehen!«
»Du hast doch Schluss gemacht«, murmelte meine Mutter.
Aber die beiden schienen weder den Einwand noch sie zur Kenntnis zu nehmen.
»Ich hab sogar das Bett frisch bezogen«, jammerte Babsi stattdessen noch lauter. Sie stützte sich auf und sah Uwe in die Augen. Ob er sich eigentlich vorstellen könne, wie es sei, sich jemandem zu öffnen und zurückgewiesen zu werden. Gerade als Frau. »Ich fühl mich so gedemütigt.« Ihre Augen bogen sich nach unten,
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