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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Hinterbeine fielen seitlich auseinander wie bei einer Kröte. Ein Ohr war abgerissen, das rechte Auge so geschwollen, dass man nicht sicher sein konnte, ob es unter all dem Blut und Madenbrei überhaupt noch da war.
    »Lebt sie noch?«, fragte Uwe und schaute zu meiner Mutter.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. Sie strich ihre Haare hinter die Ohren, ließ die Finger knacken. Dann hob sie die Kiste hoch und trug sie an Babsi vorbei, die quietschend zurücksprang. Das haarige Bündel dopste ein wenig nach oben, als es auf dem Weg aufschlug. Meine Mutter ging in die Knie und betrachtete die Rippen, die sich durch die dünne Haut bohrten.
    »Und?«, rief Uwe, ganz hin und her gerissen zwischen seiner Neugier und dem Wunsch, sich um Babsi zu kümmern, deren Brust schon wieder zu zittern begann.
    »Ich glaub sie atmet noch«, sagte meine Mutter. Sie hob einen Stock vom Boden und pickte damit in die Kiste. Wieder ertönte das Wimmern. Dann ein zweites, diesmal von Babsi. Die Hand vor den Mund gepresst lief sie durchs Feld, blieb dann aber doch in sicherem Abstand stehen.
    Meine Mutter ließ den Stock auf den Boden fallen. »Die wird nicht mehr«, sagte sie.
    »Können wir sie nicht mit nach Hause nehmen und aufpäppeln?«, fragte Babsi.
    »Jaaa«, sagte Uwe, wie ein kleiner Junge, der dann auch ein Pony will.
    Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Das wäre reinste Quälerei.« Sie sah nach rechts und links, lief zielstrebig auf den anderen Acker und kam mit einem Stein zurück. Sie brauchte beide Hände, um ihn zu tragen.
    »Was machst du denn da?«, rief Babsi. Sie drehte sich zu Uwe, der nicht minder verschreckt aussah. Aber meine Mutter hob den Stein ungerührt über die Kiste und ließ ihn mit einem Krachen hineinfallen. Die Katze machte keinen Mucks.
    »Oh mein Gott«, schrie Babsi und rannte aus dem Tabak. Ihr Haar wehte im Wind. Sie sah sehr hübsch aus, die rote Sonne im Rücken, wie sie so auf meine Mutter zugestürzt kam und »Ist sie tot?« kreischte.
    Meine Mutter bückte sich wieder. Sie schob die Hände unter den Stein und warf ihn mit einem Satz neben Babsi auf den Boden. Der Kopf der Katze war kaum noch zu sehen. Das linke Auge hing an einem Faden Fleisch in der einen Ecke. Auf den Latten rannten aufgeregt die Maden durcheinander.
    »Oh mein Gott«, schrie Babsi noch mal und ließ den gerade erst getrockneten Tränen neue folgen, was Uwe sich natürlich nicht entgehen ließ. Mit drei Schritten war er hinter ihr und drückte sie an sich.
    »Was muss, das muss«, sagte meine Mutter trocken und umfasste die oberen beiden Latten.
    »Was machst du denn jetzt?«, kreischte nun auch Uwe.
    »Soll sie etwa hier bleiben, bis ein Traktor drüber fährt?«, fragte meine Mutter und hievte die Kiste hoch.
    Babsi begann zu schluchzen. Uwe presste ihr Gesicht an sich und schüttelte den Kopf. Seine Augen kamen hinter den Brauenwülsten hervor, bohrten sich in meine Mutter, die mit der Kiste vor ihm stand, wie ein Lieferant, der auf sein Wechselgeld wartet, und wurden immer dunkler. »Du bist echt widerlich«, sagte er endlich.
    Meine Mutter wischte sich mit dem Ellenbogen die Fliegen aus dem Gesicht. Die Kiste in ihren Händen kippte, eins der blutverkrusteten Beine flutschte durch die Ritzen nach draußen.
    »Wie du meinst«, sagte sie und ging mit schnellen Schritten den Feldweg entlang. Hinter sich hörte sie Babsi etwas rufen, aber sie drehte sich nicht um, starrte nur geradeaus, bis sie wieder Teer unter den Füßen hatte. An der erstbesten Mülltonne blieb sie stehen und stopfte die Kiste hinein. Dann lief sie nach Hause und verkroch sich in ihrem Zimmer. Eine Viertelstunde versuchte sie, Babsi und/oder Uwe zu hassen. Aber so viel Spaß wie sonst machte es nicht. Immer wieder funkte ihr der Verstand dazwischen, der bei aller Liebe fürs bodenlose Verachten ein Verachten aus enttäuschter Liebe dann doch nicht durchgehen lassen konnte. Sie gab sich einer sorgsam abgezirkelten Verzweiflung hin, raufte sich ein bisschen die Haare, rieb sich die Stirn, aber schon währenddessen kam sie sich ziemlich doof vor.
    Als sie meine Großmutter vor der Tür hörte, strich sie sich die Haare aus dem Gesicht und trat in den Flur.
    »Du bist schon zu Hause?«, rief sie. »Soll ich dir was vom Essen aufwärmen? Ich dachte, du schläfst heute bei Meiers. Alles in Ordnung? Wie war der Film?«
    »Gut«, sagte meine Mutter.
    »Wie geht’s denn Deimuwe?«, rief meine Großmutter.
    »Auch gut«, antworte sie und versprach, bei Gelegenheit

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