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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Grüße zu bestellen.
    Die Lippen meiner Großmutter hoben sich zu einem breiten Lächeln. »Ich glaub, von dem jungen Mann werden wir in Zukunft noch mehr hören«, sagte sie zu meinem Großvater, als er seine kalten Füße unter der Bettdecke an ihren rieb, und ließ ihn vor Glück und Dankbarkeit oben weitermachen.
    Diesmal war dem Problem mit Unterrichtsausfall allein nicht beizukommen. Babsi und meine Mutter saßen in so vielen Fächern nebeneinander, dass sie sich auf Dauer nicht aus dem Weg gehen konnten, auch wenn Babsi nach dem ersten Tag des Kalte-Schulter-Zeigens so erschöpft war, dass sie die Zeit bis zur Rückkehr ihrer Eltern erstmal blau machte. Aber auch nach deren Rückkehr bekam meine Mutter sie kaum zu Gesicht, weil eigentlich immer Uwe daran hing. Eng umschlungen standen sie in der Pausenhalle, kicherten, knutschten und versuchten so unverkennbar, meine Mutter nicht zu kennen, dass die mal wieder viel Zeit auf dem Klo verbrachte.
    Wie sich herausstellte, war die Sache mit der Katze ein Segen, und das für alle Beteiligten. Zwei Wochen lang durften Uwe und Babsi meine Mutter derart verabscheuen, dass sie nicht nur keinen Funken schlechtes Gewissen zu haben brauchten, sondern einander auch so nah kamen, dass sie schon nach weiteren drei Wochen wieder genug voneinander hatten.
    Meine Großmutter erfuhr ungefähr auf halber Strecke von der jungen Liebe, als sie Babsi und Uwe Hand in Hosentasche vorm Bäcker vorbeiwanken und dann in der Eisdiele ein  – »ein!«  – Schokoladeneis schlecken sah. Nachdem sie drei Mal die Straße hin- und hergefahren war, um eine Verwechslung auszuschließen und dann mehrere Stunden darüber gegrübelt hatte, wie man meiner armen Mutter die Nachricht am schonendsten beibringen könne, war sie so durch den Wind, dass sie, als sie den Schlüssel im Schloss hörte, nur noch »er hat eine andere« hauchen konnte und nicht mal merkte, dass meine Mutter schon Bescheid wusste. Es tue ihr ja so leid, jammerte sie und weinte an ihrer Statt. »Wie kann er nur? Wie? Kann? Er? Nur?« Sie lief in die Küche, wild entschlossen, den Schmerz unter einem Berg aus Zucker zu begraben, und buk los, Törtchen und Mohnkugeln und sogar Weihnachtsplätzchen, mitten im Sommer , so verzagt war sie, dass sie sogar das Christkindl beschiss. Meine Mutter rührte natürlich nichts davon an, woraufhin meine Großmutter wieder stoßweise zu atmen begann. »Nur einen Biss«, stöhnte sie und stopfte sich selbst eine handvoll grün-rot-weißen Spritzgebäcks in den Mund, als sei meine Mutter eine Vierjährige, der man das mit dem Essen noch vormachen muss. Am Ende war ihr von all der Einfühlsamkeit so übel, dass meine Mutter ihr die Wärmflasche bringen und die Stirn streicheln musste, bis sie völlig aufgelöst einschlief.
    Babsi hatte ihr die Liebe weggenommen und meine Großmutter nahm ihr die Trauer darüber. Tagelang war sie kaum ansprechbar. Sie lief gegen Türrahmen, rieb sich bei jedem Liebeslied hektisch die Augen, und wenn im Fernsehen ein Mann einer Frau gegenüber weniger als das perfekte Arschloch war, schaltete sie sofort um. Dann schlug ihre Schwermut allmählich in Wut um, erst gegen Uwe, der sich ja auch nie für den Tee bedankt habe. Dann gegen Babsi, die die ihr servierten Getränke zwar gebührend gewürdigt, sich durch ihre trügerische Nettigkeit jedoch in noch größeres Unrecht gesetzt hatte. »Verräterin«, zischte sie, wenn sie meine Mutter, der sie in diesen schweren Tagen den Bus dann doch wieder ersparen wollte, von der Schule abholte und sie in der Ferne vorbeilaufen sah.
    Sie war so böse auf Babsi, dass meine Mutter ihr endlich verzeihen konnte. Obwohl es da ja eigentlich gar nichts zu verzeihen gab, »ich bitte dich. Man kann doch niemanden zwingen, einen zu mögen. Der Uwe konnt’ die Babsi halt besser leiden als mich. Hätt’ sie deshalb ins Kloster gehen sollen, oder was?« Als sie an der Tür klingelte, einen Korb mit Schneckennudeln in der Hand, damit meine Großmutter wenigstens die mal nicht selber aufaß, schloss Babsi sie in die Arme und erzählte ihr, dass sie »diesen Scheißkerl!« wenn auch vielleicht nicht hauptsächlich, aber wohl auch nicht zu allerletzt deshalb abserviert habe, weil ihr die Freundschaft mit meiner Mutter mehr bedeute als jeder Mann.
    Meine Großmutter begann, die Nächte wieder durchzuschlafen. Sie vergaß, dass sie Widder war und irgendwann auch ihren Groll, sodass Babsi wieder gelegentlich zum Essen kommen durfte. Uwe, der

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