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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Schaden sie sich und der Gesellschaft (ihr) antaten.
    Ihr missionarischer Eifer machte selbst vor Geschäftskunden nicht halt. Mehrfach brach sie ein Gespräch ab, weil sie es einfach nicht mit einem Raucher im Zimmer aushielt. Wenn ich von einer Party heimkam, musste ich mich unmittelbar hinter der Tür bis auf die Unterhose ausziehen und »ohne Umwege« in der Dusche verschwinden, während sie die Kleidung mit Beißzangenfingern in die Waschküche trug. Einen traurigen Monat lang gab sie die Order aus, dass ich nirgendwo mehr hingehen dürfe, wo man mir »Teer ins Gesicht« blase, bis sie erkannte, dass das bedeutete, dass ich nur noch zu Hause rumhockte und ihr die Arbeiten, um mich vom schändlichen Nichtstun abzuhalten, allmählich ausgingen. Ich hielt ihren Raucherhass für eine ihrer vielen Marotten, einen Spleen, in dem sich die von meinem Großvater geerbte Neigung zum Absoluten mit der Alles-Angst meiner Großmutter zu herrlichstem Fundamentalismus paarte  – bis ich sie auf einem Rastplatz kurz nach München mit einem Päckchen roter Gauloises erwischte. Den extra langen 100ern, aber wahrscheinlich war das eher ein Versehen.
    Wir wollten über ein verlängertes Wochenende nach Salzburg. Sie wollte und sie wollte auf keinen Fall, dass ich nicht wollte, also hatte sie mich sicherheitshalber gar nicht erst gefragt. Donnerstagmittag hatte sie mich bei der Arbeit angerufen und vor vollendete Tatsachen gestellt: Hotel sei schon gebucht, Blick auf den Kapuzinerberg, dazu Karten für ein Konzert im Schloss Mirabell. Mozart, auch wenn ihr der eigentlich ein bisschen zu ladidi-ladida sei, aber was solle man machen, ’s is halt Salzburg, ohne geht’s nicht.
    »Montagfrüh sind wir zurück.« Sie klang richtig aufgedreht, also gab ich nach. Darum, und weil ich keine Lust auf die Vorwürfe hatte, die ich mir hätte anhören müssen, wenn ich es nicht getan hätte. Sie wusste, dass ich keine anderen Pläne hatte, von besseren ganz zu schweigen. Und ich wusste, dass sie das nicht durchgehen lassen würde, zumindest nicht ohne eine Strafpredigt.
    Ich arbeitete damals als Praktikantin bei einem Zeitschriftenverlag. Es gab nicht besonders viel zu tun, aber meine Mutter war trotzdem der Meinung, ich müsse irgendwelche Hürden auftun, an denen ich mir ein Bein ausreißen könnte, damit man auf mich aufmerksam werden und mir einen Job anbieten würde, auf den ich nicht wirklich scharf war.
    »Wieso denn bitte nicht? Ich dachte, du willst unbedingt schreiben?«
    »Schon, aber doch nicht so.«
    »Ach, ist der Bestseller denn fertig? Nein, nicht? Na, dann ist das ja wohl kaum der Zeitpunkt, um eine feste Stelle in den Wind zu schlagen. Hab ich recht oder hab ich recht?«
    Das Hin und Her war tausendmal erprobt, wir wussten beide, dass sie gewinnen würde, und auch wenn ich darauf bestand, eigentlich auch unveröffentlicht ganz glücklich zu sein, hätte ich mich am Ende insgeheim doch gefragt, ob ich mein Leben vielleicht vertrödelte. Außerdem hatte ich wirklich Lust auf Salzburger Nockerln.
    »Na was soll’s, wir haben ja wirklich schon lange nicht mehr spontan was unternommen«, sagte ich, während ich die Maus über die Bildergalerie der Hotelhomepage zog, die sie mir gemailt hatte. In Wahrheit hatte sie die Reise lang geplant. Es sollte unsere letzte sein, und sie wollte wohl noch ein wenig Zeit, in der sie die Einzige war, die das wusste.
    Sie hatte im Auto geschlafen, was mir eigentlich schon hätte zu denken geben müssen. Dann schlug sie plötzlich die Augen auf und wollte unbedingt rausfahren. Die Hand am Türgriff, starrte sie aus dem Fenster, rief »da, hier«, obwohl ich schon den Blinker gesetzt hatte, und ich erinnere mich, dass ich zum ersten Mal dachte, dass meine Mutter alt wird.
    Ich wartete im Auto, während sie zur Toilette ging. Erst als sie nach einer Viertelstunde noch immer nicht zurück war, ging ich ihr nach, suchte sie in der Tankstelle, auf dem Klo, lief endlich ein wenig die Böschung hinunter. Und da saß sie. In der Hocke, den Oberkörper nach vorne gebeugt, während sie den Mund mit der Hand abschirmte.
    »Mein Gott, was machst du denn hier?«, rief ich und lief auf sie zu.
    Sie sprang auf und machte einen Schritt rückwärts. »Gar nichts.«
    Ich berührte sie an der Schulter.
    »Lass!«, rief sie.
    »Was ist denn?«, fragte ich und lachte, auch wenn sie mir fast ein bisschen unheimlich war. Ihr Kopf steckte tief zwischen den Schultern. Die Arme hatte sie hinter dem Rücken

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