Fünf Kopeken
einer DIN - A 4-Seite über dem Türrahmen, darunter wohl dasselbe auf Russisch, wie meine Mutter, bei allem Genie, jedoch nur vermuten konnte. »Der Opa hat halt gemeint, das sei Zeitverschwendung«, sagte sie und schien tatsächlich ein bisschen verlegen ob ihrer fehlenden Russischkenntnisse, was ich ihr tatsächlich glaubte.
Sie schlenderte auf der anderen Seite zurück, sah den kleinen Mann am Tresen, noch immer in Habachtstellung, Schultern nach hinten, Brust raus. In seinem Gesicht hing ein starres Lächeln. Auf dem Bildschirm neben ihm flimmerten in vier bläulichen Quadraten die Bilder der Überwachungskamera.
Meine Mutter ließ den Blick über die klapprige Metallkonstruktion schweifen, in der kaum etwas stand. Zwei Flaschen Shampoo hier, ein Packen Klopapier da, eine Handvoll Glühbirnen in Pappschachteln, die so aussahen, als habe schon jemand darauf geschlafen. Erst weiter vorne füllten sich die Regale wieder, Kekspackungen, Salzstängchen, Einmachgläser undefinierbaren Inhalts.
Aus dem Hinterzimmer hörte man Gegröle.
Sie nahm eines der Einmachgläser und drehte es auf den Kopf. Die aufgewirbelten Senfkörner sanken wie in einer Schneekugel durch die mehlige Brühe. Der Verkäufer schrie irgendetwas. Meine Mutter stellte erschrocken das Glas zurück und lief in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Arno kam auf sie zu, in jeder Hand eine Flasche, hob abwechselnd die Arme. »Champagner haben sie nicht.«
Die drei jungen Männer lachten laut. Der mit den Glitzersteckern haute einem der anderen beiden gegen die Schulter.
»Rot oder weiß?«, fragte Arno. Er drückte meiner Mutter eine Flasche Erdbeersekt in die Hand. Sie warf einen lustlosen Blick auf das Etikett. Die Musik wurde noch lauter.
Von der Kasse hörte man wieder wütende Rufe.
»Ist doch schon spät«, sagte sie, »wollen wir’s nicht einfach lassen?«
»Kommt nicht infrage«, rief Arno, »wir haben gesagt wir feiern, also feiern wir auch.«
»Wir waren doch schon aus, reicht das nicht?« Meine Mutter hielt Arno die Flasche hin. »Wenn ich so kurz vorm Schlafengehen noch was trinke, hab ich morgen einen riesen Schädel!«
»Dann hast du wenigstens was, was dich den ganzen Tag daran erinnert, dass du die weltbeste Studentin aller Zeiten bist«, sagte mein Vater und lachte vor Stolz, wie bös er war. »Sieh’s als Souvenir«, setzte er noch eins drauf, aber die jungen Männer machten jetzt so einen Lärm, dass man ihn kaum noch verstehen konnte. Der ohne Stecker beugte sich über den auf dem Stuhl und hämmerte auf die Tastatur, woraufhin der mit dem Stecker wieder irgendwen irgendwohin haute.
»Ach komm«, sagte meine Mutter. Sie probierte erneut, ihm die Flasche zurückzugeben, aber er hob abwehrend die Hände.
»Du willst also wirklich, dass ich leide, ja?«, sagte sie.
»Ferz, du kriegst kein Kopfweh«, sagte er und vielleicht noch ein bisschen mehr, aber das konnte nun wirklich keiner mehr verstehen, weil plötzlich der kleine, runde Mann angerannt kam, mit der Hand ausholte und wieder etwas schrie, was ziemlich furchterregend klang, aber das konnte auch am Russischen liegen. Aus seinem Rachen zischte und krachte es, wie kurz vor einem Gewitter. Nur hier und da schob sich ein deutsches Wort dazwischen, kurwa, rabota, Kundschaft, saidnizja.
Er stürzte an meiner Mutter und Arno vorbei ins Hinterzimmer, begann wild zu gestikulieren, als gebe er zusätzlich die Version für Gehörlose.
Der ohne Stecker richtete sich auf. Er war drei Köpfe größer als der Verkäufer, aber die Verunsicherung in seinem Gesicht war deutlich zu sehen. Halbherzig schrie er etwas zurück, worauf der kleine Mann wieder den Arm nach oben riss. Seine kleine Hand ballte sich zur Faust, was den mit den Silbersteckern dazu brachte, ebenfalls vom Computer angelaufen zu kommen und wie am Spieß zu schreien, was ihm schon deutlich besser gelang als seinem Freund.
Sie standen mitten im Raum und versuchten einander zu übertönen, die beiden jungen Männer auf der einen Seite, der Verkäufer auf der anderen, machten im Wechsel einen Schritt vor und zurück, wie ein Tanzpaar mit einem Tänzer zuviel. Erst als der mit den Steckern aus dem Verbund ausbrach und sich auf die Brust trommelte, sah meine Mutter den nach hinten rollenden Bürostuhl und dann auch die Katzenaugen, die sie über die Lehne hinweg fixierten.
Das Krachen war so laut, dass meine Mutter es bis in den Magen spürte.
Sie sprang zurück, sah den Sekt, der sich zwischen den Scherben auf
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