Fünf Kopeken
kreischten auf. Irgendetwas fiel zu Boden.
Meine Mutter drehte sich um und ging ins Wohnzimmer, sah die brennende Kerze auf dem Couchtisch, das Yes-Törtchen in der Papiermanschette.
»Tschuldigung«, sagte Arno und hob eine der CD s auf, die mein noch immer in alles Neue verliebter Großvater jetzt statt der Bücher ankarrte, »ich hatte was falschrum eingestöpselt.«
Er drückte auf die Fernbedienung, hielt sie ausgestreckt auf das Display, obwohl er direkt davorstand. Eine sämig nölende Stimme erklang.
»Dann wollen wir mal!«, rief er wieder und klemmte sich den Flaschenbauch zwischen die Beine. Der Korken ploppte in die Luft. Über dem Flaschenhals krisselte feuchter Dunst.
Er schenkte umständlich ein, hin und her und hin, hier noch ein Tröpfchen, bis sie beide genau gleich viel hatten, hob eins der Gläser in die Höhe. »Auf die beste Studentin aller Zeiten!«
Ihr Arm folgte seinem. »Prost«, sagte er und prostete ihr zu.
Meine Mutter legte die Lippen an ihr Glas.
»Ich bin so stolz auf dich«, sagte er und kuckte stolz, küsste sie lange, während er seine Hand auf ihren Rücken drückte. Sie behielt die Augen offen, starrte geradeaus, aber er war so nah, dass sie ihn nicht sehen konnte, nur ein Stück seines Nasenflügels und die Lider, die fleckig ineinanderverliefen, wie wenn man an einem gleißend hellen Tag von draußen reinkommt.
Seine Zunge fuhr an ihren Zähnen entlang, als würde er sie zählen. Dann hob er auf einmal ihr Kinn mit dem Zeigefinger an und strich darüber.
»Was machst du dir wegen so was einen Kopf!«, rief er, »sind doch nur ein paar Scherben!« Er schob sie ein Stück von sich und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Ist doch nichts passiert.« Seine Finger schlossen sich fest um ihre Wangenknochen. »Stimmt’s?«
Er beugte sich zu ihr nach unten. Sein Kopf kroch unter seinem runden Buckel nach vorne wie der einer Schildkröte. Meine Mutter sah seine tiefhängenden Lider, die grünblau schimmerten, fast so, als seien sie geschminkt, und dann nickte sie, einmal nur, kurz und schnell.
Das war das erste Mal, dass sie ihn anlog.
Und es war das erste Mal, dass er ihr ihre Lüge glaubte.
»Na siehst du«, sagte er. Er zog ihre zusammengekrallten Finger zu sich und drückte sein Gesicht hinein, küsste ihre Handflächen. Küsste wieder ihren Mund. Begann endlich, ihr irgendetwas zu erzählen. Und meine Mutter hörte zu. Versuchte wirklich, zuzuhören. Und verstand doch kein Wort. Sie erzählte ihm von der geplanten neuen Filiale. Wartete, dass er wieder etwas sagen würde, und war genervt, dass er es sagte. Sie sah ihn an, um nicht aus dem Fenster zu sehen, lehnte den Kopf an seine Schulter, schloss die Augen. Bat ihn, die Musik auszuschalten, weil sie der Sänger nervös mache, der keinen Ton traf, und die lauten Bässe, die alle anderen Geräusche übertönten, was es wahrscheinlich eher traf.
»Endlich ruhig«, sagte sie, als er den Knopf gefunden hatte. Und redete schnell weiter, weil diese Ruhe noch viel schlimmer war.
Er nahm das Yes-Törtchen aus der Manschette und hielt es ihr hin. Die Kerze hatte die Schokolade etwas angeschmolzen. Seine Finger hinterließen matt glänzende Abdrücke in der Glasur, wie nasse Reifen auf einer frisch geteerten Straße.
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Ist schon so spät.«
»Wie du willst«, meinte er und schob sich das Törtchen in den Mund.
Er sagte wieder was und sie sagte wieder was und dann schwieg er, und es nervte sie, dass er schwieg.
»Es wird wirklich Zeit, dass wir ins Bett kommen«, rief sie und sprang auf.
Arno folgte ihr ins Schlafzimmer und zog sich aus, faltete die Kleider zusammen, wie sie es ihm beigebracht hatte. Legte sie auf den Stuhl, nicht in den Schrank, wo nur die frischgewaschene Wäsche hingehörte, was sie ihm auch beigebracht hatte. Er schlüpfte in seinen Schlafanzug und legte sich ins Bett, während sie mit ihrem Rock kämpfte, dessen Stoff sich an ihren Hintern klammerte. »Ich hätte wirklich nicht ausgehen sollen«, rief sie, »ich muss doch morgen früh raus!«
Er richtete sich ein Stück auf, wollte ihr den Reißverschluss aufziehen.
»Geht schon«, sagte sie, und »du hättest mich wirklich nicht überreden sollen, ich hab doch so viel zu tun.« Sie zerrte den Pullover über den Kopf, nahm ein T-Shirt aus dem Schrank. Ließ sich endlich von seinen ausgestreckten Armen aufs Bett ziehen.
Er beugte sich über sie und streichelte ihren Hals, mit der flachen Hand, von oben nach unten
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