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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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fuhren blitzschnell über sein Gesicht, das jetzt ganz nackt war. Die Bartstoppeln waren verschwunden. Stattdessen wirkten seine Wangen ganz weich und irgendwie unfertig.
    Meine Mutter ließ den Blick nach unten wandern, sah das weiße Hemd, an dem der oberste Knopf offen stand. Aus seiner Brusttasche schaute eine schwarze Fliege.
    Was macht er denn in diesem Aufzug hier?, dachte sie und kuckte schnell wieder weg, während sie ihre immer klebriger werdenden Hände hinter dem Rücken verschränkte.
    »Ihr Wechselgeld«, sagte er.
    Sie hob den Kopf, aber Arno hielt schon die Hand hin. »Spasiba«, sagte er und deutete eine kleine Verbeugung an.
    Die Katzenaugen rührten sich nicht.
    Arno räusperte sich. »Spasiba tjebes da pomosch«, sagte er, jetzt schon ein bisschen drängender.
    Meine Mutter spürte, wie sie noch röter wurde.
    »Ich hab in der Schule ein paar Jahre Russisch gehabt«, fuhr er fort, und »Sie sind doch aus Russland, nicht wahr?«
    Hinten schwoll wieder die Musik an.
    »Ukraine«, sagte er.
    »Und was hat Sie nach Berlin verschlagen?«
    Was soll denn das Verhör?, er muss ja glauben, wir sind von der Stasi, dachte meine Mutter und trat dichter an den Tresen, um nichts zu verpassen.
    »Arbeit«, sagte er und reichte Arno die Plastiktüte.
    »Ach, verdient man hier wirklich so viel mehr als bei Ihnen zu Hause?« Mein Vater schaute zu den Getränkekisten.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich helf nur aus.«
    Und als was arbeitet er sonst? Und wo? Irgendwo hier in der Nähe?
    Aber Arno hatte genug vom Fragen. »Na, dann mal noch einen schönen Abend«, sagte er und griff nach der Hand meiner Mutter. Er sprang über die letzten Sektausläufer, passte auf, dass auch sie nicht hineintrat. Erst als sie an der Tür waren, schaute er noch mal über die Schulter und rief »Dobre Wjetschera« den Gang entlang. Meine Mutter folgte seinem Blick, drehte den Kopf zu dem kleinen Mann und an ihm vorbei, immer weiter, sah für einen Augenblick ein Lächeln, sein Lächeln, oder vielleicht doch eher ein Grinsen, ein spöttisches, oder herzliches?, auf jeden Fall völlig schiefes Grinsen, die Oberlippe seitlich nach oben gerafft, als habe man sie mit einem Bindfaden an der Nase festgebunden. Darunter blitzte ein gelblicher Schneidezahn auf. Sie sah das Zucken in seinem Mundwinkel, das sauber rasierte Gesicht, die Lottowerbung, ein Schild, dann den Arm meines Vaters, der die Tür noch mal aufstieß, damit sie meiner Mutter nicht gegen die Schulter knallte.
    Sie wich zurück, stolperte hinter ihm her, während er die Straße überquerte, ein wenig lachte, kopfschüttelnd »das sind ja vielleicht welche!« sagte.
    Meine Mutter schaute zu Boden. »Was denn für welche?«
    »Keine Ahnung, die sind mir irgendwie nicht geheuer.« Er nahm die Tüte in die andere Hand, ohne ihre Hand dabei loszulassen, suchte mit den freigewordenen Fingern nach dem Schlüssel in seiner Hosentasche. Die Flasche stieß gegen ihre Hüfte.
    »Mein Gott, wie’s hier wieder aussieht«, schimpfte er, während er die Prospekte mit der Fußspitze beiseiteschob und meine Mutter durch den Innenhof zog, die Treppe hinauf, endlich doch ihre Hand loslassen musste, um aufzuschließen.
    »Dann wollen wir mal!«, sagte er und fummelte die Flasche aus der Tüte.
    »Ich muss erst Hände waschen«, sagte meine Mutter und hielt ihm wie zum Beweis ihre Finger hin.
    Er lachte wieder, und sie fragte sich, warum er lachte.
    Sie lief ins Bad, drehte den Hahn auf, walkte die Seife in ihren Händen, bis es schmatzte. Sie fuhr in die Fingerzwischenräume, kratzte mit dem Daumennagel über die Haut, sah die Maserung ihrer Fingerkuppen, in die sich die Farbe fraß wie Altersringe in einen Baumstamm. Sie hielt die Finger in den Strahl, wusch den Schaum ab, aber was darunter zum Vorschein kam, sah noch genauso furchtbar aus wie zuvor. Sie fing von vorne an, nahm ein Wurzelbürstchen zur Hilfe, rieb und rubbelte und schrubbte, aber ihre Hände blieben rot, wurden von dem ganzen Gescheure eher noch etwas röter und das Handtuch, mit dem sie sie endlich doch abtrocknete, weil sie einsah, dass das alles nichts half, wurde es auch, sodass sie ein neues aus dem Schrank holte. Und dann auch davon die roten Fingerabdrücke abwaschen musste.
    Sie trat in den Flur, linste durch die offene Küchentür zum Fenster, hörte sich selbst »ich geh mal Gläser holen« murmeln.
    Aber Arno rief »hab schon!« und etwas leiser »wo muss das denn jetzt wieder rein?« Die Lautsprecher der Stereoanlage

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