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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Baseballschläger. Ich sprang auf und schob ihr das Kissen hinter den Rücken, während sie energisch den Kopf schüttelte. »Bei strömendem Regen, im Matsch über den Bauplatz. Um mir einen Laden anzusehen, den’s noch gar nicht gibt!«
    Ich nahm die Wasserflasche vom Nachttisch und goss ihr ein.
    »Er wollte halt, dass du dich für ihn freust«, sagte ich.
    »Das ist es ja«, antwortete sie stöhnend und rieb sich müde die Stirn.
    Ich hielt ihr das Glas hin. Widerwillig nahm sie einen Schluck, bevor sie sich wieder nach hinten sinken ließ. An ihrem Haaransatz glitzerten Schweißperlen. Ich zog ein Kleenex aus der Packung und tupfte ihr die Stirn ab. Sie ließ es zu, obwohl ihr die Geste eigentlich zuwider war, aber für einen Streit hatte sie es jetzt zu eilig, weiterkommen, wieder ins Auto, in dem mein Großvater ihr lang und breit auseinandersetzte, was er mit der Firma so alles vorhabe (viel) und sich dabei von ihr erwarte (noch mehr), zurück ins Zentrum, wo sich der Verkehr wie Karamell zwischen den Zähnen zog. Sie konnte ihn gerade so davon abhalten, noch mal im Laden vorbeizufahren, um ihr die Pläne zu zeigen. Aber zu spät war sie trotzdem. Als sie endlich die Tür aufschloss, war Arno schon nicht mehr da. Stattdessen hing ein Zettel über dem Waschbecken mit der Adresse der Bar, darunter: »Denk gar nicht dran!« Das Ausrufezeichen, dessen Punkt sich durch das Papier bohrte, was das Einzige, was sie erkennen konnte, während sie die dunkle Straße entlanglief, in der natürlich keine einzige Laterne richtig funktionierte. Nur mit Mühe ließ sich die Hausnummer ausmachen, unter der ein Pärchen lehnte und knutschte. Und im Inneren war es nicht viel besser. Der langgezogene Raum war so finster, dass es eine Ewigkeit dauerte, bis sie die anderen entdeckte. Das heißt, eigentlich war es Babsi, die endlich sie entdeckte. Quer durch die Bar »Da bist du ja endlich!« rufend, beugte sie sich über Arno und winkte meine Mutter herbei, zog sie so stürmisch zu sich, dass sie fast auf das Mädchen zu Babsis anderer Seite fiel. Erst als sich die Arme um ihren Hals lösten, schaffte sie es, auch meinen Vater zu begrüßen, woraufhin Babsi sofort aufsprang und ihr den Platz freimachte, peinlich bemüht, jedwedem Verdacht einer Wiederholung des Uwe-Intermezzos vorzubeugen.
    »Ich hab meine Lektion gelernt«, hatte sie meiner Mutter versichert, als sie ein paar Monate zuvor plötzlich aufgetaucht war, ohne Geld, ohne Plan, aber mit unheimlich guter Laune. Sie machte irgendetwas, wie alle hier, vor allem sich keine Gedanken. Natürlich war sie begeistert von Berlin und Berlin von ihr. Innerhalb einer Woche hatte sie tausend Freunde gefunden, die ihr alles beibrachten, was es über das neue Deutschland zu wissen gab. Sie kannte jeden Winkel, jeden versteckten Club, jede besetzte Wohnung, in der man alles bekam, was meine Mutter nicht wollte, aber doch wenigstens mal ausprobieren sollte, nur einen Schluck, nur einen Zug, komm schon, das macht Spaß, mir nicht, woher willst du das wissen, wenn du’s nicht mal versuchst, ich muss keine Scheiße fressen, um zu wissen, dass sie scheiße schmeckt, etc. pp. Aber vor allem liebte sie noch immer meine Mutter. Und meine Mutter liebte sie, obwohl ihr, als Babsi nach dem ersten Essen zu dritt endlich hinter ihrer Kusshand verschwand, außer einem entschuldigenden »Wir kennen uns halt schon ne Ewigkeit« selbst nichts einfiel, womit sie Arnos gerunzelte Stirn hätte glätten können. Aber der tat einen Teufel, Kritik an ihrer besten Freundin zu üben und am Ende zu riskieren, meine Mutter mit einer eigenen Meinung daran zu erinnern, dass sie doch noch nicht vollends miteinander verwachsen waren. Stattdessen suchte er beharrlich nach Argumenten, die für Babsi sprechen konnten, was ihm einiges abverlangte, denn die war auch mit Ende 20 noch genau dieselbe wie zu Schulzeiten. Genauso naiv (»weise«, sagte er), genauso infantil (»natürlich«), genauso schön, höchstens vielleicht ein wenig eitler. Zumindest glaubte ich, es sei das, auf was meine Mutter hinauswollte, als sie erwähnte, dass Babsi an jenem Abend die ganze Zeit mit ihren Haaren beschäftigt gewesen sei.
    Offenbar hatte sie eine neue Frisur, die meiner Mutter zwar nicht, Arno dafür aber sofort auf- und natürlich auch unheimlich gut gefiel, was er auch sofort unheimlich begeistert kundtat.
    »Dankeschön!«, erwiderte Babsi strahlend. »Hat Jule geschnitten.« Sie legte die Hand auf den Rücken des Mädchens,

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